Start-up bringt Quantensensor zur Marktreife

4. Dezember 2024, Nr. 44

SpinMagIC erhält EXIST-Forschungstransfer-Förderung
[Bild: Kathleen Spilok]

Egal ob Bier, Kaffeebohnen, Joghurt oder Schmieröl: Ein Gerät, das locker auf eine Hand passt, kann die Haltbarkeit von Substanzen messen. Die Idee: Die Technologie in die Lebensmittelindustrie bringen. Als Spin-off erhält die Ausgründung aus der Universität Stuttgart Mittel der EXIST-Forschungstransfer-Förderung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK).

„Der Quantensensor steht bereits greifbar in der Tür. Jetzt müssen wir ihn mit ordentlich PS auf den Markt bringen“, sagt Prof. Jens Anders. Genau daran arbeiten vier junge Männer. Mit ihrem Spin-off SpinMagIC möchten sie Haltbarkeitsmessungen mit Hilfe eines Quantensensors möglichst einfach gestalten. Zwei von ihnen, Belal Alnajjar und Anh Chu, sind Doktoranden von Anders und tüfteln in den Labors an der Universität Stuttgart, im Institut für Smarte Sensoren (IIS). Die beiden anderen – der Physik-Doktorand Michele Segantini und Jakob Fitschen, der die Ausgründung finanziell managen und profitabel machen soll, – arbeiten vom Helmholtz Zentrum Berlin (HZB) aus, unterstützt von Prof. Klaus Lips, Leiter der Abteilung „Spins in der Energieumwandlung und Quanteninformatik“. Anders und Lips kennen sich bestens mit der Messung von Elektronenspinresonanzen, kurz ESR, aus. Ein Verfahren, das besonders reaktionsfreudige Moleküle misst. Sie erhielten dafür 2019 den HZB-Preis für Technologietransfer.

Physiker Belal Alnajjar (links) und Elektroingenieur Anh Chu vom Start-up SpinMagIC arbeiten in den Labors an der Universität Stuttgart.

Teamwork in Stuttgart und Berlin, um tragbaren Quantensensor zu entwickeln

Der Startschuss für die Förderung durch das BMWK fiel am 1.Oktober 2024. Nun haben die vier Gründer zwei Jahre Zeit, ihr Spin-off erfolgreich zu machen. Unterstützt werden die Doktoranden durch das Institut für Entrepreneurship (ENI), die Technologie-Transfer-Initiative TTI GmbH und das Transfercenter TRACES der Universität Stuttgart sowie die Landesinitiative „NXTGN“ (ehemals Gründermotor). Die drei Doktoranden aus Stuttgart und Berlin arbeiten schon seit einigen Jahren in unterschiedlichen Projekten zusammen und kennen sich sehr gut. Jakob Fitschen stieß vor einem halben Jahr dazu. Teamwork ist das A und O bei der Entwicklung des hochkomplexen tragbaren Quantensensors.

SpinMagIC setzt auf Quantensensoren, mit denen sich reaktionsfreudige Moleküle, freie Radikale, ermitteln lassen. Jedes Material, das ungepaarte Elektronen hat, kann mit dem Sensor quantitativ vermessen werden. Freie Radikale lassen zum Beispiel Haut schneller altern. Sie sind ebenso verantwortlich dafür, dass sich Lebensmittel zersetzen. Um freie Radikale messbar zu machen, gibt es die ESR – „bereits seit 80 Jahren“, merkt Anders an. Bislang war deren Nutzung begrenzt, weil die Geräte zu sperrig waren mindestens eine Tonne wogen und mehrere Hunderttausend Euro kosteten. Auch verfügbare Tischgeräte wiegen etwa 120 Kilogramm und sind sehr teuer. Ein Flaschenhalsproblem, das effiziente Abläufe oder die breite Anwendung infrage stellt. Das ändert sich jetzt schlagartig: Miniaturisierung ist das Zauberwort. Denn alles, was die Forscher für die Messung von Haltbarkeiten brauchen, ist ein kleiner Permanentmagnet und ein Mikrochip mit integriertem Schaltkreis. 

Haltbarkeitsmessung von Flüssigkeiten anhand freier Radikale

Wie funktioniert die Messung? Tatsächlich ist der Microchip nicht mehr als einen Quadratmillimeter klein. Er besteht aus Hochfrequenz-Schaltkreisen, die die ungepaarten Elektronen anregen und deren Quantenantwort erfassen. Für den Messvorgang schalten die Forscher eine Mikropumpe ein, die die Probe auf den Chip transportiert oder tauchen den Sensor direkt in die zu messende Flüssigkeit. Eine Anzeige verrät, wie groß die Menge an freien Radikalen in der Probe ist. „Dieser Ansatz von 3D-gedruckten Strukturen aus leichtem Filament ermöglicht einen kostengünstigen Weg zur Realisierung von leistungsstarken Resonanzmagneten“, hebt der Physiker Alnajjar hervor. Vor dem Druckprozess hat er zahlreiche Simulationen durchgeführt, um nach der besten Option zu suchen. Rund 40 Gramm wiegt der Magnet aus dem 3D-Drucker jetzt. Das Innere des Magneten besteht aus Ringen. „Die Ringe sind so gewählt, dass das Magnetfeld sehr homogen wird“, weiß Alnajjar. Das geringe Gewicht und die hohe Qualität sind Schlüsselfaktoren für diese Magnete.

Damit soll die Haltbarkeitsmessung im Mini-Format funktionieren: links der Permanentmagnet und daneben die grüne Leiterplatte, die links einen winzigen chip-integrierten Quantensensor trägt.

Auf die Wortschöpfung SpinMagIC – drei Bestandteile der Messung – sind die Forscher stolz: Spin steht für die Elektronen, die einen eigenen Drehimpuls mitbringen, Mag für Magnet, der die Messung ermöglicht und IC für den integrierten Schaltkreis. Die Aufgabenteilung ist klar: „Wir in Stuttgart sind für die Entwicklung der Kerntechnologie verantwortlich“, betont Elektrotechniker Chu. Dies sind der Permanentmagnet und die Leiterplatte, die einen winzigen chip-integrierten Quantensensor trägt. Segantini, der Physiker in Berlin, kümmert sich um die Anwendungen anhand erster Beispiele, etwa der Messung von Lebensmittelhaltbarkeit. Er hat insbesondere gute Verbindungen in die Olivenölproduktion. Geplant ist, das Endprodukt in zwei Jahren marktreif zu haben und erste Pilotkunden zu akquirieren, die es testen wollen. „Extrem klein und extrem preiswert mit einer sehr hohen Messgenauigkeit“, hebt Chu die hohen Anforderungen der Lebensmittelindustrie und somit auch ihren Ansporn hervor.

Einsatz von Lebensmittelindustrie über Pharmazie bis Umweltverschmutzung

Das Verfahren kann auch genutzt werden, um den Zustand von Akkus zu bestimmen. Folgen könnten außerdem Katalyseprozesse, die häufig in der chemischen Industrie für die Polymerisation von Molekülen angewendet werden. Auch Prozesse aus der pharmazeutischen Industrie sind denkbar, ebenso Verschmutzungen in der Luft oder in Wasser. „Für die kommenden zwei Jahre haben wir ein festgelegtes Budget vom BMWK“, so Chu. Hierfür ist die Finanzierung der Ausgründung also gesichert. „Aber anschließend sind wir offen für Wagniskapitalgeber oder private Investoren.“

Noch passen die Teile nicht in eine Smartwatch. Aber die Forscher haben sich vorgenommen, die Gerätschaften für die Messung langfristig in einem noch kleineren Tool unterzubringen.

Strategischer Profilbereich Quantum technologies

Fachlicher Kontakt:

Anh Chu, Universität Stuttgart, Institut für Intelligente Sensorik und Theoretische Elektrotechnik, Telefon: +49 711 685-67259, E-Mail

Medienkontakt

Dieses Bild zeigt Lydia Lehmann

Lydia Lehmann

 

Stellvertretende Leiterin Hochschulkommunikation

 

Hochschul­kommunikation

Keplerstraße 7, 70174 Stuttgart

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