Politische Debatte: Welche Hebel bringen die 55 Prozent?
Die EU hat sich verpflichtet, die Treibhausgasemissionen (THG) bis zum Jahr 2030 um 55 Prozent gegenüber 1990 zu senken. Als länderübergreifender klimapolitischer Hebel dient der europäische Emissionshandel (englisch: „European Emission Trading System“, EU ETS). Pro ausgestoßener Tonne des Klimagases Kohlendioxid muss in bestimmten wirtschaftlichen Sektoren ein Verschmutzungsrecht in Form eines Zertifikats gekauft werden. Die Idee dabei ist, die volkswirtschaftlichen Kosten möglichst gering zu halten.
Jüngst lehnte das Europäische Parlament einen Vorschlag der EU-Kommission zur Ausweitung des Emissionshandels ab und schickte ihn zur Überarbeitung zurück an den Umweltausschuss. Einer der Hauptstreitpunkte war die Verschärfung der Ziele im EU ETS. Grundsätzlich geht es in der politischen Debatte darum, ob auch für CO2-Emissionen aus dem Straßenverkehr und von Gebäuden ein Zertifikatehandel (ETS2) geschaffen werden solle. Die EU-Politiker*innen diskutieren über die Aufteilung der Emissionen – einem „CO2-Budget“ – zwischen dem EU ETS und den übrigen Sektoren, die unter die Lastenteilungsverordnung (englisch „Effort Sharing Regulation“, ESR) fallen. Außerdem ist die Höhe des CO2-Preises für das ETS2 ein Thema und ob zunächst nur gewerbliche Gebäude und Verkehrsmittel oder der gesamte Verbrauch reguliert werden sollen.
Umverteilung wirtschaftlich effizient
Eine Arbeitsgruppe aus dem Institut für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung (IER) der Universität Stuttgart rund um Prof. Markus Blesl hat gemeinsam mit Forschenden vom Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) und dem Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung in einer Studie des Kopernikus-Projekts Ariadne anhand mehrerer Modelle berechnet, welche Preise für die Sektoren notwendig wären, um Auswirkungen auf die nationalen Ziele zu haben.
Für die Auswertung nahmen die Expert*innen eine volkswirtschaftliche Sicht ein. Ihre Untersuchung zeigt, dass den Auswirkungen durch eine Verschärfung des EU ETS zu viel Bedeutung beigemessen werde. Die Maßnahme, den CO2-Preis für Wärme und Verkehr (ETS2) zu deckeln, habe eine größere Bedeutung, als angenommen.
Das EU-ETS-Ziel für 2030 um einige Prozentpunkte zu verschärfen, könnte unter dem Gesichtspunkt der wirtschaftlichen Effizienz vorteilhaft sein – sofern die Sektoren, die außerhalb des EU ETS (ESR-Sektoren) stehen, entsprechend geringere „Emissionsminderungsziele“ erhalten, also mehr CO2 ausstoßen dürfen. Dass der Emissionshandel positive oder negative Auswirkungen auf den Wohlstand in der Europäischen Union haben könne, schätzen die Forschenden im Blick auf die Umschichtung des CO2-Budgets in der derzeit diskutierten Größenordnung als relativ gering ein.
Zertifikate müssen deutlich teurer werden
Die CO2-Preise, die notwendig wären, um die Klimaziele für 2030 zu erreichen, liegen zwischen 130 und 210 Euro pro Tonne CO2 im EU ETS und zwischen 175 und 350 Euro pro Tonne CO2 für die energiebezogenen ESR-Emissionen, die weitestgehend deckungsgleich mit den Sektoren sind, für die der weitere Emissionshandel ETS2 diskutiert wird. Der Soll-Wert für die Preise folgt der Annahme, dass CO2-Preise das einzige Politikinstrument für den Klimaschutz seien. Die hohen Spannen entstehen durch unterschiedliche Annahmen zur Technologieentwicklung und die Basispfade der verschiedenen Modelle.
Der gegenwärtige Preis für Emissionszertifikate im EU ETS liegt derzeit bei etwa 85 Euro pro Tonne CO2. Seinen Höchststand erreichte er Anfang des Jahres mit 96,70 Euro. Seit der Einführung 2008 schwankte der Börsenhandelspreis unter 30 Euro. Erst gegen Ende 2020 stieg der Preis über diese Grenze.
Würde der ETS2-Preis auf 50 Euro pro Tonne CO2 begrenzt, wie das Europäischen Parlament diskutierte, werde es unwahrscheinlich, die 55 Prozent weniger CO2-Ausstoß bis 2030 zu erreichen. Ein grosser Anteil der Emissionsminderung müsste dann durch ergänzende Maßnahmen wie technologische Standards oder Subventionen erreicht werden. Deren Kosten liegen weit über 50 Euro pro Tonne CO2. Auch die Gesamtkosten für Verbrauchende wären umso höher, je niedriger der CO2-Preis ist, weil die Emissionen nicht gezielt dort verringert werden, wo es am günstigsten ist.
Fachlicher Kontakt:
Abteilung Systemanalytische Methoden und Wärmemarkt, Institut für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung (IER)