Betonleichtbau ohne Abfall
Weithin sichtbar beeindruckt in den Giardini della Marinaressa, einem öffentlichen Park im Zentrum Venedigs, seit Mai der „Marinaressa Coral Tree“ die Besucher der Architektur-Biennale 2023. Die filigrane Betonskulptur wurde von Daria Kovaleva und Prof. Lucio Blandini vom Institut für Leichtbau Entwerfen und Konstruieren (ILEK) der Universität Stuttgart entworfen. Sie zeigt, wie Innovationen bei Planung, Materialtechnologie und Fertigung zu einer nachhaltigen Transformation der Bauindustrie beitragen können. Die Installation ist das Ergebnis einer Zusammenarbeit des ILEK und des Instituts für Steuerungstechnik der Werkzeugmaschinen und Fertigungseinrichtungen (ISW) der Universität Stuttgart.
Die Struktur entstand aus einem Forschungsprojekt zur nachhaltigen Herstellung leichter Betonbauteile mittels abfallfreier Sandschalungen. Leichtbauprinzipien können den Materialverbrauch ebenso wie die mit der Konstruktion verbundenen Emissionen erheblich reduzieren - auch im Betonbau. Allerdings lassen sich die mit Leichtbauprinzipien einhergehenden komplexen Geometrien, wie beispielsweise mehrfach gekrümmte Flächen, bislang nur mit großem Arbeitsaufwand und großen Abfallmengen in Beton herstellen.
Daher stand im Mittelpunkt des Projekts die Entwicklung einer Produktionstechnologie zur abfallfreien Herstellung von komplex geformten Betonstrukturen durch die Verwendung von rezyklierbaren Sandschalungen. Die Herstellung dieser Schalungen basiert auf einer Kombination von additiver Fertigung (3D-Druck in einem Pulverbett) sowie einer speziell entwickelten Mischung aus Sand und einem organischen wasserlöslichen Bindemittel. Das 3D-Drucksystem wurde speziell für das Projekt von Maximilian Nistler, wissenschaftlicher Mitarbeiter am ISW unter der Leitung von Prof. Alexander Verl entwickelt.
Der Marinaressa Coral Tree demonstriert in beeindruckender Weise das Potenzial dieser Technologie. Die filigrane Konstruktion ist eine Neu-Interpretation des traditionellen Übergangs von der Decke zur Stütze, bei dem die Lasten von der horizontalen Decke über das Kapitell auf die Säulen übertragen werden. Durch die optimale Verteilung des Materials entsprechend dem Spannungsverlauf konnte der Materialverbrauch im Vergleich zu herkömmlichen Strukturen um 60 Prozent reduziert werden - bei gleicher Tragfähigkeit. In Anbetracht der Umweltauswirkungen der Bauindustrie sind solche ganzheitlichen Leichtbauprinzipien von großer Bedeutung für den nachhaltigen Betonbau, da sie zu einer erheblichen Minimierung von Ressourcenverbrauch, Emissionen und Abfällen beitragen können.
Biomaterialien als Designwerkzeug
Mit gleich drei Exponaten - 3DNaturDruck, LeichtPRO und der Smart Circular Bridge - ist die Abteilung Bio-based Materials and Material Cycles in Architecture (BioMat) des Instituts für Tragkonstruktionen und Konstruktives Entwerfen (ITKE) der Universität Stuttgart an der Architektur-Biennale beteiligt und kooperiert dabei ebenfalls mit dem ILEK. Die Ausstellung mit dem Titel „Materials as a Design Tool“ zeigt Projekte, welche die Anwendung von Biomaterialien in der gebauten Umwelt fördern. Das Ziel ist die Schaffung einer Kreislaufwirtschaft, die im Einklang mit den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen steht.
Dabei erforscht 3DNaturDruck die architektonische Anwendung von 3D-gedruckten Naturfasern. Das interdisziplinäre Projekt zielt darauf ab, die Bereiche Architekturdesign, Ingenieurwesen und digitale Fertigung zu verbinden und so einen neuen Materialisierungsprozess mitzugestalten. Der Säulendemonstrator „Ligno Print“ zeigt eine praktikable Strategie, mit der diese aufstrebende Materialmethode auf groß angelegte architektonische Szenarien angewandt werden kann - ein Neuland für diese spezielle Naturfasertechnik.
LeichtPRO erforscht die Entwicklung von Leichtbauprofilen und -komponenten unter Verwendung nachwachsender Rohstoffe, wobei das Ziel letztlich die Nachhaltigkeit ist. Im Fokus stehen zwei Produkte: neu entwickelte Profile aus natürlichen Flachsfasern, die im Pultrusionsverfahren hergestellt werden, sowie Biokomposit-Verbindungselemente. Beide sind für den Einsatz in strukturellen Systemen vorgesehen. Der LightPRO Shell-Pavillon aus dem Jahr 2021 zeigt eine großformatige leichte, aktiv biegbare Schalenstruktur. Weitere Anwendungen wie ein Tragwerksystem und andere Schalenstrukturen werden ebenfalls realisiert.
Die Smart Circular Bridge schließlich demonstriert das Potenzial der Bioökonomie in der Bauindustrie. Das Projekt umfasst den Bau von drei Fußgänger- und Fahrradbrücken aus Biokompositen in Europa. Ein ausgeklügeltes Überwachungssystem kontrolliert kontinuierlich die Stabilität und den Zustand des Materials. Dies gewährleistet nicht nur ein Höchstmaß an Sicherheit für die Nutzung, sondern liefert auch umfangreiche Informationen für die Planung weiterer Brücken. Um eine maximale Kreislauffähigkeit der Materialien zu erreichen, ist auch die Verwertung von Bioverbundwerkstoffen Teil dieser Forschung.
Weitere Informationen:
Die Architekturbiennale in Venedig findet vom 20. Mai bis zum 26. November 2023 statt. Die Betonstruktur ist in den Giardini della Marinaressa vor dem Arsenale zu sehen. Die Biomat-Ausstellung befindet sich im Palazzo Mora, 2. Stock, Strada Nova, 3659.
Kontakt | Prof. Lucio Blandini, Universität Stuttgart, Institut für Leichtbaue Entwerfen und Konstruieren (ILEK), Tel. +49 711 685 61760, Email Assoc.-Prof. Hanaa Dahy, Universität Stuttgart, Institut für Tragkonstruktionen und Konstruktives Entwerfen (ITKE), Abt. BioMat, Tel. +49 711 685 83274, EMail |
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