Ob Vogel, Hase oder Wildkatze – wie viele Arten es von ihnen in Deutschland gibt, ist für sie und die meisten anderen Tiergruppen genauestens bekannt. Doch für einige Gruppen ist das Wissen über ihre Artenvielfalt nahezu vergessen oder geht auf Daten zurück, die Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte alt sind.
Eine dieser Gruppen sind die Bärtierchen – eine drollige Spezies, die hart im Nehmen ist. Sie wurde vor über 250 Jahren in Deutschland entdeckt. Die bislang einzige wissenschaftliche Dokumentation über ihre Artenvielfalt stammt aus dem Jahr 1936. Doch seither wurden viele weitere Bärtierchenarten gefunden, unter anderem vom Stuttgarter Zoologen Ralph Schill. „Seit über 20 Jahren beschäftige ich mich bereits mit Bärtierchen“, sagt Schill, der am Institut für Biomaterialien und biomolekulare Systeme forscht. „Weltweit zählen wir 1.488 Bärtierchenarten, doch wie viele davon bei uns in Deutschland beheimatet sind, war bislang unklar.“
Geburtsstunde in einem Teich bei Magdeburg
Die erste zoologische Aufzeichnung über das Bärtierchen stammt von einem Quedlinburger Pastor aus dem Jahr 1773. Johann August Ephraim Goeze stieß in einem Teich hinter seiner Kirche auf Bärtierchen und beschrieb sie mit den Worten: „Seltsam ist dieses Thierchen, weil der ganze Bau seines Körpers ausserordentlich und seltsam ist, und weil es in seiner äusserlichen Gestalt, dem ersten Anblicke nach, die größte Aehnlichkeit mit einem Bäre im Kleinen hat. Das hat mich auch bewogen, ihm den Namen des kleinen Wasserbärs zu geben.“
Erste zoologische Checkliste aus den 1930er Jahren
Bärtierchen können sich hervorragend an eisige Kälte und trockene Dürren anpassen. Sie halten ihre innere Uhr an und fallen in eine Art Dornröschenschlaf. In diesem Zustand altern sie nicht. „Diese Eigenschaft fasziniert mich besonders“, so Schill.
Schon in den 1930er Jahren waren diese smarten Fähigkeiten Zoologe bekannt. 1936 brachte Ernst Marcus in der Reihe „Die Tierwelt Deutschlands“ eine Übersicht aller bis dahin in Deutschland bekannten Bärtierchenarten heraus. 44 Arten an der Zahl umfasst die bis dahin erste und einzige Bärtierchen-Checkliste.
Biologisches Update nach fast 100 Jahren
Der Stuttgarter Zoologe Schill hat seither mehrere neue Arten von Bärtierchen entdeckt. Gemeinsam mit seinem Forschungskollegen Dr. Rolf Schuster hat er alle seit 1834 entstandenen wissenschaftlichen Werke durchforstet und eine neue Checkliste aller bislang in Deutschland nachgewiesenen Bärtierchenarten erstellt.
99 Arten haben die beiden Forscher gezählt. Darunter 91 Arten, die vorwiegend in Moosen und Flechten leben, sowie acht Arten, die an der deutschen Meeresküste im Brack- und Salzwasser zuhause sind. Von den weltweit 1.488 bekannten Bärtierchen-Arten wurden 24 erstmals in Deutschland entdeckt und beschrieben.
„Die bei uns gefundenen Arten machen etwa sieben Prozent der weltweit bekannten Arten aus“, erklärt Schill. „Und jetzt haben wir erstmals wieder seit fast 100 Jahren einen aktuellen Überblick über alle Bärtierchen in Deutschland. Dieser ist besonders wichtig, da sich der Rückgang der biologischen Vielfalt in den vergangenen Jahrzehnten dramatisch beschleunigt hat und wir nur so verstehen können, wie sich dies in den einzelnen Tiergruppen auswirkt.“
Publikation
Schuster, R., Schill, R.O. Checklist of tardigrades in Germany as a contribution to biodiversity research. Org Divers Evol (2025). DOI:10.1007/s13127-024-00668-5.
Kontakt | Prof. Ralph O. Schill, Universität Stuttgart, Institut für Biomaterialien und biomolekulare Systeme, Tel.: +49 172 7304726, E-Mail |
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Jacqueline Gehrke
Onlineredakteurin