Es begann mit Robotern, die Fußball spielen. „In meiner Doktorarbeit habe ich mich – am Beispiel Ballsport - mit der Kollaboration zwischen Robotern beschäftigt“, sagt Junior-Professor Aamir Ahmad, stellvertretender Leiter des Instituts für Flugmechanik und Flugregelung (iFR) an der Universität Stuttgart. In Folgeprojekten am Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme (MPI-IS) schickte Ahmad dann Roboter-Teams in die Lüfte: Der Bauingenieur entwickelte 3D-Bewegungserfassungssysteme, bei denen mehrere, mit Kameras bestückte Flugroboter zum Einsatz kamen. „Mithilfe von KI haben wir das Multi-Roboter-System trainiert, Menschen und ihre Körperhaltungen in unstrukturierten Umgebungen – also in freier Natur – zu erkennen. Mehrere Flugroboter tracken eine Person. Sie kooperieren bei der Planung ihrer Flugbahnen, um gemeinsam eine bessere Sicht auf die getrackte Person zu bekommen.“ Die Flugroboter kommunizieren untereinander und können als Team aus einer Vielzahl einzelner Datenpunkte ein viel aussagekräftigeres Gesamtbild erstellen als ein einzelner Roboter.
Intelligente Flugroboter im Einsatz für den Artenschutz
Autonome Flugroboter-Teams könnten zum Beispiel bei der Suche nach verunglückten Menschen helfen, so Ahmad. Bei einer Forschungsreise nach Kenia offenbarte sich zudem, dass die neuartige Technologie großes Potential für den Artenschutz hat: „In Kenia sprach ich mit einer Gruppe von Biolog*innen der amerikanischen Princeton University. Die Forschenden entwickeln Strategien, um bedrohte Wildtiere vor dem Aussterben zu schützen. Als Grundlage dafür benötigen sie möglichst viele Informationen über das Verhalten der Tiere in freier Wildbahn. Die bisher verfügbaren Mittel zur Tierbeobachtung haben jedoch diverse Schwächen. Kamerafallen zum Beispiel können keine Herden beobachten, die täglich große Distanzen zurücklegen. GPS-Halsbänder oder Tags, die an den Tieren angebracht werden, stellen eine Gefahr dar, da die Tiere für den Eingriff betäubt werden müssen.“ Gemeinsam mit den Forschenden in Kenia entstand die Vision, intelligente Flugroboter für die Tierbeobachtung zu entwickeln. Damit war die Idee zum Projekt Wildcap geboren.
„Zwar wurden auch in der Vergangenheit schon Drohnen zur Tierbeobachtung eingesetzt. Aber der Ansatz, ein Team von intelligenten Flugrobotern zu entwickeln, die Wildtiere erkennen, ihnen selbstständig folgen und ihre Bewegungen und ihr Verhalten auswerten, ist bisher einzigartig“, so Ahmad, der seit 2020 eine Juniorprofessur am Institut für Flugmechanik und Flugregelung (iFR) der Universität Stuttgart innehat und dort die Gruppe „Flight Robotics and Perception“ leitet. Parallel leitet er auch eine Forschungsgruppe am MPI-IS.
Wildcap wird finanziert vom Cyber Valley Research Fund. Stuttgarter Robotik-Spezialist*innen arbeiten in dem interdisziplinären Projekt mit Biolog*innen und Ökolog*innen in Kenia und Ungarn zusammen. Partner sind unter anderem die amerikanische Princeton University und der ungarische Hortobágy National Park. „In Ungarn testen wir den Einsatz von Flugrobotern zur Beobachtung von seltenen Wildpferden. In Kenia tracken wir Zebraherden“, so Ahmad. Die Beobachtung aus der Luft bedeutet für die Tiere weniger Störfaktoren und damit weniger Stress als eine Überwachung am Boden. Zudem können die autonomen Flugroboter viel großflächigere Gebiete abdecken als etwa Kamerafallen.
Im Team sind die Roboter besonders stark
Das Stuttgarter Team hat verschiedene Flugroboter für das Projekt entwickelt: Blimps, große ballonartige Luftschiffe, die mit einem intelligenten Steuerungssystem und Kamera bestückt sind, fliegen besonders energieeffizient und eignen sich für lange Einsätze. Wesentlich kleinere, nur zwei Kilogramm schwere Quadrokopter werden eingesetzt, um dichter an die Tiere heranzukommen. Zudem wurden handelsübliche Drohnen nachgerüstet. Sie kommen bei kurzen Erkundungsflügen zum Einsatz. „Alle unsere Flugroboter agieren im Team und kommunizieren miteinander. Mithilfe von Formationsflug-Strategien erreichen wir eine bestmögliche visuelle Abdeckung der Tiere.“
Zudem setzt das Team auf KI und Machine-Learning-Methoden. Die Systeme werden darauf trainiert, nicht nur bestimmte Tierarten zu erkennen und zu verfolgen, sie sollen auch deren Verhaltensweisen einordnen. „Zum Beispiel stellt ein Flugroboter, der sich einem Zebra nähert, fest, ob das Tier durch den Anflug nervös wird. Ist das der Fall, könnte der Roboter selbstständig die Flugbahn ändern.“ Die Systeme könnten zudem aus der Körperhaltung wichtige Rückschlüsse auf Aktivitäten eines Tieres ziehen: „Die Roboter erkennen unter anderem, ob ein Zebra grast und sammeln Daten darüber, wie oft und wie lange ein Tier frisst. Aus diesen Daten lassen sich wiederum wichtige Rückschlüsse auf den Gesundheitszustand des Zebras ziehen.“
KI Champions Baden-Württemberg 2024
Für den innovativen Ansatz wurden Aamir Ahmad und das Wildcap-Team jetzt im Rahmen des Wettbewerbs „KI Champions Baden-Württemberg 2024“ ausgezeichnet. Der Titel „KI Champion Baden-Württemberg 2024“ steht für herausragende, innovative Beispiele für anwendungsorientierte Lösungen der Künstlichen Intelligenz aus Baden-Württemberg. Den Award überreichte Baden-Württembergs Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut am 11. Juli im Rahmen des Start-up BW Summit im Stuttgarter Haus der Wirtschaft. Insgesamt wurden neun Projekte ausgezeichnet.
Über Cyber Valley
Das Projekt Wildcap wird finanziert aus dem Cyber Valley Research Fund. Cyber Valley ist Europas größtes und führendes Zentrum für Exzellenz in künstlicher Intelligenz und moderner Robotik. Die Mission und der öffentliche Auftrag von Cyber Valley bestehen darin, sich für Forschung, Entwicklung, Anwendung und Akzeptanz von Technologien sowie Methoden intelligenter Systeme einzusetzen. Cyber Valley fördert die Gründung von KI-Start-ups, indem es wissenschaftliche Exzellenz mit Innovation und Technologietransfer verbindet. Außerdem unterstützt Cyber Valley die kritische Reflexion der ethischen und sozialen Auswirkungen von KI. Cyber Valley strebt eine Zukunft an, in der das Potenzial intelligenter Systeme zum Wohle der Gesellschaft voll ausgeschöpft wird. Die Cyber Valley Community ist ein Netzwerk von KI-Forschenden, Entrepreneuren, Investoren und Start-ups sowie Partnern aus Wissenschaft, Industrie und Gesellschaft. Eigentümer der Cyber Valley GmbH sind das Land Baden-Württemberg und die Max-Planck-Gesellschaft. Die GmbH ist Dienstleister, zentraler Organisator, Forum und Gastgeber für die Cyber Valley Community. Cyber Valley mit Standorten in Stuttgart und Tübingen hat bereits internationale Strahlkraft erlangt und zieht die besten Talente aus der ganzen Welt an, um die Zukunft mit KI zu gestalten. Die Universität Stuttgart gehört zu den Gründungspartnern der Initiative.
Kontakt | Jun.-Prof. Aamir Ahmad, Institut für Flugmechanik und Flugregelung (IFR), Tel. 0711 - 685 66679, E-Mail |
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Lena Jauernig
Redakteurin Wissenschaftskommunikation / Wissenschaftlicher Nachwuchs