Oft blockieren E-Scooter den Gehweg oder liegen mit entladener Batterie auf Plätzen verteilt. Dieses Schicksal soll den E-Scooter, der an der Universität Stuttgart entwickelt wird, nicht ereilen. Der autonom fahrende E-Scooter kann sich mittels moderner Regelungstechnik selbst balancieren. Er soll auf Abruf dorthin fahren, wo er gerade gebraucht wird. Inzwischen hat Professor Frank Allgöwer, Leiter des Instituts für Systemtheorie und Regelungstechnik (IST) der Universität Stuttgart, gemeinsam mit seinem Team aus 5 Doktoranden und 17 Studierenden mehrere Prototypen entwickelt.
Während einer Live-Demonstration im IST informierte sich Professor Wolfram Ressel, Rektor der Universität Stuttgart, über den aktuellen Stand des E-Scooter-Projekts. Der aktuelle Prototyp kurvt durch den Raum, fährt Kreise und Achter und neigt sich in engen Kurven, ohne dabei umzukippen. Das unterscheidet den E-Scooter von seinen Vorgängern. „Unser jetziger Prototyp fährt viel dynamischer als die vorherigen“, erklärt Allgöwer. Gesteuert wird er dabei noch von einer Fernbedienung. Außerdem erkennt er inzwischen mittels Ultraschallwellen Hindernisse und bleibt vor diesen stehen. Selbst eine schnell ausgestreckte Hand vor seinen Sensor erfasst der E-Scooter sofort und hält an. Bei einem weiteren Prototyp, dem „Acrobot“, ist am Lenker ein Gelenk verbaut, mit dem sich der E-Scooter ausbalancieren kann – ähnlich wie ein Mensch, der auf einem Bein steht und die Arme ausbreitet, um stabil zu stehen. Dieser alternative Balanciermechanismus soll dem Roller künftig ermöglichen, sich nach einem Sturz selbstständig aufzurichten.
E-Scooter ist ein Teilprojekt von MobiLab
Der E-Scooter ist Teil des Mobilitätskonzepts MobiLab der Universität Stuttgart. Das Leuchtturm-Projekt sieht einen emissionsfreie Campus Vaihingen als Forschungs- und Innovationslabor vor. Die Universität soll bis 2030 klimaneutral werden. Mit verschiedenen Maßnahmen wie dem autofreien Campus, dem autonomen Campusshuttle und dem autonom fahrenden E-Scooter soll die mobilitätsbezogene Freisetzung von CO2 stark reduziert werden. Die Neuentwicklungen werden dabei auf Forschungsstraßen erprobt.
Der autonom fahrende E-Scooter adressiere im Rahmen von MobiLab die letzte Meile auf dem Campus, sagt Allgöwer. In der konkreten Anwendung sollen E-Scooter zum Beispiel morgens die Studierenden von der S-Bahn-Station Universität zum jeweiligen Hörsaal bringen oder die Beschäftigten mittags vom Büro zur Mensa.
Damit die E-Scooter auch immer dort sind, wo sie gerade gebraucht werden, wollen Allgöwer und sein Team langfristig eine App entwickeln. Darin können die Nutzerinnen und Nutzer sehen, wo sich ein E-Scooter befindet und ihn zu sich rufen. Der Roller fährt dann im Schritttempo zum Aufenthaltsort, wo ihn die Nutzerin oder der Nutzer übernimmt, um an den Zielort zu fahren. Anschließend fährt der E-Scooter autonom dorthin, wo er als nächstes gebraucht werde, erklärt Allgöwer. Sinkt der Batterieladestand, soll der E-Scooter selbstständig zur nächsten induktiven Ladestation fahren und sich dort aufladen. Für die Entwicklung dieser Ladestationen sind die Kolleginnen und Kollegen des Instituts für Elektrische Energiewandlung (IEW) zuständig.
„Was der Protoyp bisher kann, klingt zwar einfach, ist aber sehr komplex und aufwändig. Dahinter steckt ein sehr hoher Forschungs- und Entwicklungsaufwand,“ sagt Allgöwer. Trotzdem haben er und seine Doktoranden sowie die zahlreichen Studierenden inzwischen schon viel erreicht: „Nicht zuletzt, weil mein Team sehr viel Zeit und Arbeit investiert hat, wofür ich dankbar bin.“ Zu seinem Team gehört unter anderem Doktorand Philipp Wenzelburger, der das Projekt bereits seit zweieinhalb Jahren begleitet. „Am E-Scooter-Projekt habe ich sehr viel lernen, forschen und ausprobieren können. Diese Fertigkeiten werden mir für meinen weiteren Berufsweg im Bereich der Sensorentwicklung helfen“, sagt Wenzelburger.
Auszeichnung für Publikation erhalten
Auch eine Publikation über autonome E-Scooter hat das Forschungsteam bereits veröffentlicht und wurde dafür 2021 mit dem Young Author Award der International Federation of Automatic Control (IFAC) ausgezeichnet. Der Verband fördert Wissenschaft und Technik der Automatisierung und Regelung. Er befasst sich zudem mit den Auswirkungen der Regelungstechnik und Automatisierung auf die Gesellschaft. Der Preis wird jährlich an Autor*innen verliehen, die jünger als 30 Jahre sind.
Die nächsten Ziele des Forschungsteams sind, das Zusammenspiel der einzelnen Funktionen zu verbessern. „Der E-Scooter muss Kurven fahren können und dabei zum Beispiel Hindernisse erkennen und umfahren können“, erklärt Wenzelburger. Außerdem soll ein Versuchsfeld auf der Außenfläche des Campus Vaihingen entstehen, um den E-Scooter auch unter realistischen Bedingungen zu erproben.