IntCDC: Digitale Technologien fürs Planen und Bauen der Zukunft

17. Mai 2023

Der deutschlandweit einzige Architektur-Exzellenzcluster „Integrative Computational Design and Construction for Architecture“ (IntCDC) will das Planen und Bauen grundlegend verändern und modernisieren. Clustersprecher Prof. Achim Menges erklärt, wie dies ressourcenschonender, klimafreundlicher und effektiver gelingen kann.

Übergeordnetes Ziel des Exzellenzclusters IntCDC ist es, das Bauschaffen – also das Planen und Bauen – zu verändern. Warum ist das überhaupt nötig?

Prof. Achim Menges: Das Bauschaffen, wie wir es kennen, ist nicht zukunftsfähig. Ein Grund ist, dass es in den nächsten Jahren ein enormes Bauvolumen zu bewältigen gilt. Bis 2050 müssen nach Angaben der Vereinten Nationen 230 Milliarden Quadratmeter neue Geschossfläche geschaffen werden. Das ist ungefähr so, als müssten wir jede Woche Paris nochmal neu bauen. Gleichzeitig hat das Bauen, wie wir es derzeit betreiben, eine dramatisch schlechte Umweltbilanz. Der Bausektor ist für ungefähr 38 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen, für 40 Prozent des Energie- und Ressourcenverbrauchs und für 50 Prozent des globalen Müllaufkommens verantwortlich. Hauptverursacher ist die Bauherstellung. Ein weiteres Problem ist die stagnierende und teilweise sogar rückläufige Produktivität, so können wir das enorme Bauvolumen nicht umsetzen. Verschärft hat sich die Lage noch durch den Fachkräftemangel, der auch die Baubranche stark trifft.

Das sind viele massive Herausforderungen auf einmal. Welche Lösungsansätze werden in IntCDC entwickelt? 

Menges: Im Exzellenzcluster schaffen wir methodische Grundlagen, um digitale Technologien als Lösungsansatz für die Herausforderungen einzusetzen. Wir digitalisieren dabei nicht einfach bisherige Prozesse, sondern wir wollen die Planungsmethoden und Fertigungsprozesse ganzheitlich und in Wechselwirkung miteinander neu denken. Wir betreiben damit Grundlagenforschung in der Architektur und deshalb ist es folgerichtig, dass der Cluster an der Universität Stuttgart angesiedelt ist.

Forschungserfolge des Clusters sind regelmäßig als Demonstratorgebäude zu sehen - wie der Urbach Tower aus selbstformendem Holz, den die Forschenden für die Gartenschau im Remstal 2019 geschaffen haben.

Warum bietet sich gerade die Universität Stuttgart für einen Architektur-Exzellenzcluster an?

Menges: An der Universität Stuttgart blicken wir auf rund ein halbes Jahrhundert der sehr produktiven und sich wertschätzenden Zusammenarbeit zwischen Architektur, Ingenieurwissenschaften und Naturwissenschaften zurück, die immer wieder zu herausragenden Leistungen im Neu-Denken des Bauschaffens und zu Pionierarbeiten im Bauwesen geführt hat. Wir leben in unserem Verbund in allen Forschungsprojekten den „Stuttgarter Weg“, also diese disziplinübergreifende Forschung. Im Cluster ist ein Querschnitt von sieben Fakultäten vertreten sowie als Kooperationspartner das Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme. Insgesamt unterteilen wir uns in fünf Forschungseinheiten: Architektur, Bauingenieurwesen, Produktions- und Systemtechnologie, Informatik und Robotik, Sozial- und Geisteswissenschaften

Welche Ziele verfolgt der Exzellenzcluster?

Menges: Ziel des Exzellenzclusters ist es, das volle Potenzial digitaler Technologien zu nutzen, um das Planen und Bauen in einem integrativen und interdisziplinären Ansatz neu zu denken und damit wegweisende Innovationen für das Bauschaffen zu ermöglichen. Durch einen systematischen, ganzheitlichen und integrativen computerbasierten Ansatz sollen die methodischen Grundlagen für eine umfassende Modernisierung des Bauschaffens gelegt werden. Eine zentrale Zielsetzung ist die Entwicklung einer übergeordneten Methodologie des „Co-Design“ von Methoden, Prozessen und Systemen, basierend auf interdisziplinärer Forschung. Wir erwarten, dass unsere methodischen Erkenntnisse und Forschungsergebnisse umfassende Lösungswege für die durch inkrementelle Ansätze nicht zu meisternden ökologischen, ökonomischen und sozialen Herausforderungen aufzeigen und die Voraussetzungen für eine qualitätsvolle, lebenswerte und nachhaltige gebaute Umwelt sowie für eine digitale Baukultur schaffen. Ebenso soll die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands im weltweit größten Industriesektor gestärkt werden.

Ein wichtiger Kulminationspunkt der Forschung ist die Errichtung eines Clustergebäudes, das Large-Scale Construction Robotics Laboratory (LCRL). Es hat zwei Ziele: Zum einen soll es eine Heimat für die Forschenden bilden. Denn um tatsächlich interdisziplinär und integrativ zusammenzuarbeiten, brauchen wir auch einen Ort, an dem wir das tun können. Das Gebäude soll dieser zeitgemäßen Art zu forschen architektonisch gerecht werden. Wir wollen nicht mehr das Handwerk vom Denkwerk trennen, also Laborhalle und Werkstätten auf der einen Seite und Schreibtische für akademische Tätigkeiten auf der anderen. Stattdessen verzahnen wir den experimentalen und den Theorieraum. Zum anderen ist das Gebäude an sich ein Forschungsprojekt.

Inwiefern?

Menges: Das Projekt integriert Kernaspekte unserer Arbeiten. Dazu gehören das Forschungsnetzwerk zum mehrgeschossigen Bauen mit Gradientenbeton, in dem untersucht wird, wie mit wesentlich weniger Beton gebaut werden kann. Die Fundament- und die Deckenplatten unseres Gebäudes werden zum Beispiel mit Gradientenbeton realisiert. Ebenso haben wir ein neuartiges, mehrgeschossiges Holzbauskelettsystem entwickelt. Wir können es uns wie ein flexibles Regal vorstellen, das unterschiedlich genutzt und mit Leben gefüllt werden kann. Im Clustergebäude wird daraus der Bereich entstehen, in dem die Büros angesiedelt sind. Im Innenausbau des Gebäudes werden hauptsächlich schnell nachwachsende natürliche Werkstoffe, zum Beispiel Biofaserkomposite, zum Einsatz kommen. Das Holzbau-Skelettsystem ist im Vergleich zu Konstruktionen aus Massivholz leistungsfähiger und wir sparen bis zu 40 Prozent Holz ein. So bleiben die entstehenden Gebäude langfristig flexibel nutzbar. Wir visieren eine rund 150-jährige Standzeit an. Entscheidend dafür ist, dass wir mit einem sehr weitspannenden Flachdeckensystem arbeiten. Unser zweites Forschungsnetzwerk thematisiert das weitgespannte Bauen in Holzbauweise. Auch hier untersuchen wir, wie wir uns mit nachwachsenden Baustoffen eine regenerative Bauwirtschaft vorstellen können. Hierfür entwickeln wir ein neuartiges Holzbausystem für weitspannenden Segmentschalenkonstruktionen. In unserem Clustergebäude wird dies für die Laborhalle eingesetzt, die rund 70 Meter lang und 30 Meter breit wird.

Alle diese Forschungsteile des Bauwerks sind das Ergebnis der Errungenschaften auf dem Gebiet des Co-Design von Planungsmethoden, Bauprozessen und Bausystemen. Das Gebäude ist mit neuen Methoden geplant, mit digitalen und robotischen Prozessen gefertigt und wird teilweise mit den von uns selbst entwickelten Roboterplattformen auf der Baustelle automatisiert aufgebaut. Der Großteil der IntCDC-Forschung wird in diesem Gebäude abgebildet und es wird von Tag eins an klimaneutral sein. Derzeit ist die Fertigstellung bis Ende 2025 geplant.

Die tragende Struktur des "BUGA Fibre Pavilion" wurde ausschließlich aus Faserverbundwerkstoffen robotergestützt hergestellt.

Das ist ein straffer Zeitplan…

Menges: Die drängenden ökologischen und ökonomischen Probleme lassen uns keine Zeit, um zuerst 30 Jahre Grundlagenforschung zu betreiben und sich dann Gedanken über die Anwendung zu machen. Deshalb bauen wir das Gebäude mit der Bauindustrie zusammen. Es gibt keine schnellere und effektivere Form des zweiseitigen Wissens- und Technologietransfers in die Industrie, als gemeinsam etwas bauen.

Also eher anwendungsbezogene Forschung mit erheblicher Transferleistung in die Industrie statt Grundlagenforschung?

Menges: Ein Grundlagenforschungsvorhaben in der Architektur ist ungewöhnlich. Eine Definition für architektonische Grundlagenforschung existiert bislang nicht. Wir nutzen das Gebäude auch dazu, um uns diese Frage zu stellen: Was ist eigentlich Grundlagenforschung in der Architektur? Nach unserer Auffassung gehört das Gebäude als ein Baustein mit dazu. Das Gebäude selbst sehen wir nicht als Anwendung, sondern als Vehikel und Gegenstand der Forschung.

Was sind weitere Forschungsaspekte des Clusters?

Menges: Wir haben bereits erhebliche Erkenntnisse hinsichtlich sozialwissenschaftlicher Fragestellungen gewonnen. Denn es gibt neben den technischen auch sehr viele nichttechnische Barrieren. Zum Beispiel ist die Frage, wie Mensch und Maschine zusammenarbeiten können, ein zentrales Thema für IntCDC. Eine weitere Herausforderung ist, dass Dissens herrscht, wie sich das Bauwesen ändern muss. Berufliche Interessenverbände, Kammern und Gewerkschaften sowie rechtliche Rahmenbedingungen blockieren Innovationen. Um ein öffentliches Gebäude zu realisieren, müssen wir uns im Rahmen des anerkannten Standes der Technik bewegen. Nur der erlaubt keine Innovationen und keine Forschung. Deshalb zeigen wir mit unserem Clustergebäude, wie Bau-Realisierung Gegenstand der Forschung sein kann.

Welche weiteren Schwerpunkte und Querschnittsthemen erforschen Sie und Ihre Kolleg*innen?

Menges: Künstliche Intelligenz spielt sowohl als Forschungsgegenstand wie auch als Forschungsmethode eine wesentliche Rolle, die wir auch an der Schnittstelle zum Cyber Valley noch weiter stärken werden. Auch das Thema „Von der Automatisierung zur Autonomie auf der cyber-physikalischen Baustelle“ spielt eine zentrale Rolle. Konkrete Aspekte sind sozioökonomische und soziokulturelle Fragestellungen: Vertraue ich einem autonomen Baukran, an dem mehrere Tonnen schwere Bauteile hängen? Viele unserer Forschungsvorhaben beschäftigen sich auch mit der Evaluierung der ökologischen, technischen und sozialen Qualität, die am Ende entsteht. Dieses reflektierende Moment ist stark im Cluster vertreten.

[Fotos: Universität Stuttgart, Rene Müller, o.A., o.A., o.A., o.A.]

Was sind Beispiele für Forschungserfolge von IntCDC in der bisherigen Förderlaufzeit seit 2019?

Menges: Wir sind auf dem zentralen Feld der Co-Design Methoden sehr erfolgreich vorangekommen, haben entsprechende computerbasierte Planungsmethoden ebenso entwickelt, wie die dazugehörige flexible rekonfigurierbare, robotische Fertigungsfabrik, die nun einsatzfähig ist. Wir haben automatisierte Baustellenprozesse realisiert, einen automatisierten Turmkran und einen automatisierten Spinnenroboter, die wir einsetzen. In einem gemeinsamen Projekt mit dem Exzellenzcluster „Living, Adaptive and Energy-autonomous Materials Systems“ (livMatS) der Universität Freiburg haben wir Baustellenrobotik erprobt. Auch unsere Bausysteme und die dazugehörigen Planungs- und Fertigungsmethoden, ein neuartiges Gradientenbetonsystem, ein neuartiges mehrgeschossiges Holzbausystem und neue Faserverbundstrukturen haben wir im Cluster bereits entwickelt.

Das Maison Fibre wurde 2021 auf der Biennale Architettura ausgestellt

© ICD/ITKE/IntCDC, Universität Stuttgart | Quelle: YouTube

Die Ergebnisse zeigen wir regelmäßig in Demonstratorgebäuden, wie dem Maison Fibre [EN], das 2021 auf der Biennale Architettura ausgestellt wurde und eine neuartige Materialkultur in der Architektur präsentierte. Mit dem Urbach Tower [EN] haben wir ein einzigartiges Wahrzeichen aus selbstformendem Holz für die Gartenschau im Remstal 2019 geschaffen. Und auf der Bundesgartenschau in Heilbronn haben wir im selben Jahr den „BUGA Fibre Pavilion“ [EN] sowie den „BUGA Wood Pavilion“ [EN] präsentiert. Die tragende Struktur des Faser-Pavillons wurde ausschließlich aus Faserverbundwerkstoffen robotergestützt hergestellt. Und der Holz-Pavillon steht für einen neuen Ansatz im digitalen Holzbau. Seine Holzschale basiert auf morphologischen Prinzipien des Plattenskeletts von Seeigeln. Es ist toll, was das großartige Team aus Forschenden bereits alles erreichen konnte, weil es so konzentriert, interdisziplinär und integrativ zusammenarbeitet. Und obwohl es während der Corona-Pandemie eine extreme Herausforderung war, diese Art der Zusammenarbeit aufrecht zu erhalten, haben die IntCDC Forschenden durchaus Erstaunliches vorangebracht.

Die Holzschale des „BUGA Wood Pavilion“ basiert auf morphologischen Prinzipien des Plattenskeletts von Seeigeln.

Welche inhaltlichen Schwerpunkte verfolgen Sie nun in der zweiten Hälfte der Förderung als Exzellenzcluster?

Menges: Unser wichtigster Aspekt ist, die Erforschung der digitalen Technologien weiter voranzutreiben. Denn diese betrachten wir vor allem an der Schnittstelle mit regenerativen Bauwerkstoffen als einen wichtigen Lösungsweg. Wir möchten untersuchen, wie wir unsere Planungs- und Fertigungsmethoden noch viel genauer auf die Eigenheiten von natürlichen Werkstoffen abstimmen können, damit wir mit deren Komplexität besser umgehen können. Denn bislang bauen wir so wenig mit natürlichen Bauwerkstoffen, weil diese komplizierter und nicht so einfach plan- und baubar sind wie industriell hergestellte Bauwerkstoffe. Ein Stück Holz ist jedes Mal anders, weil jeder Baum anders wächst, eben individuell ist. Ein weiteres Beispiel sind die sehr hohen Sicherheitsbeiwerte beim Bauen mit Faserverbundwerkstoffen aus Naturfasern. Diese bedeuten, dass wir ein Vielfaches des Material einsetzen müssen, als eigentlich notwendig wäre. Wir könnten einen erheblichen Anteil des Materials sparen, wenn wir dessen Einsatz besser verstehen. Und dafür können wir mit Planungs-, Simulations- und rückgekoppelten, sensorgesteuerten Fertigungsmethoden unglaublich viel erreichen. Wir sehen, dass wir jetzt gerade erst die Grundlagen geschaffen haben und es noch enorm viel Potenzial gibt, weiter zu forschen. Auch weil eigentlich alle Herausforderungen, an denen wir arbeiten, in den letzten dreieinhalb Jahren noch akuter und relevanter geworden sind.

Interview: Bettina Wind

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