Die drei Doktorandinnen Martina Baggio, Ariane Exle und Karin Schlottke von der Fakultät Luft- und Raumfahrttechnik der Universität Stuttgart gewinnen den mit je 10.000 US-Dollar dotierten Amelia Earhart Fellowship Award. Der Preis wird von Zonta International vergeben. Zonta zeichnet junge Wissenschaftlerinnen aus, die wie Amelia Earhart Pionierleistungen der Luft- und Raumfahrttechnik erbracht haben.
Frau Exle, was erforschen Sie in Ihrer Doktorarbeit und wie wird Ihre Forschung angewandt?
Ariane Exle (AE): Das Projekt, in dem ich arbeite und forsche, nennt sich DESTINY+ Dust Analyzer. Hierbei handelt es sich um ein wissenschaftliches Instrument zur Analyse von kosmischem Staub, das wir hier am Institut für Raumfahrtsysteme der Universität Stuttgart entwickeln. Die zukünftige Anwendung ist also schon gesetzt: Unser Dust Analyzer wird an Bord der japanischen Raumsonde DESTINY+ ins All fliegen. Ziel ist der Asteroid Phaethon, dessen Partikelumgebung wir untersuchen werden. Das ist natürlich das Highlight der Mission. Aber auch während der vierjährigen Reisezeit wird der Dust Analyzer, sowohl im Erdorbit als auch im interplanetaren Transferflug verschiedene Staubpopulationen, wie beispielsweise interstellaren Staub aus unserer Galaxie, der Milchstraße, untersuchen und wichtige wissenschaftliche Erkenntnisse bringen können.
Ich persönlich, als Ingenieurin, bin auf der angewandten Seite der Forschung in diesem Projekt, genauer gesagt im Bereich der Raumfahrtmechanismen. Das heißt, ich konstruiere, baue und teste alle Subsysteme des Instruments, welche später im All für eine Bewegung sorgen. Das Wichtigste davon ist der 2-Achsen Pointing-Mechanismus. Durch diesen wird die Blickrichtung des DESTINY+ Dust Analyzers unabhängig von der Ausrichtung der Raumsonde eingestellt - unabdingbar für die Erreichbarkeit aller Observationsziele und damit den wissenschaftlichen Betrieb.
Nun ist es natürlich eine Sache solche Mechanismen für den Betrieb am Boden zu entwickeln. Für den Betrieb im All kommen nochmal viele weitere Herausforderungen hinzu: begrenzte Masse, Vakuum, ionisierende Strahlung, extreme Temperaturen, hohe Lasten und Vibrationen beim Raketenstart und nicht zuletzt die fehlende Möglichkeit der Wartung.
Ein wichtiger Anteil meiner Arbeit sind somit neben der Konstruktion vor allem auch die Auswahl und Tests geeigneter Materialen und Materialpaarungen, Ausschöpfung neuester Leichtbaumöglichkeiten, wie beispielsweise der metallischen additiven Fertigung und die intensive Analyse und Tests der Mechanismen, um einen zuverlässigen Betrieb im All zu garantieren.
Welchen Nutzen hat Ihre Forschung für die Menschheit?
AE: Eine der großen Fragen der Menschheit, die auch schon kleine Kinder immer wieder gerne stellen, ist "Woher kommen wir?" oder "Wie entstand das Leben auf der Erde?". Diese wird in vielen wissenschaftlichen Disziplinen, sei es der Biologie, der Archäologie und vielen weiteren erforscht. Mit unserem Instrument setzen wir sozusagen ganz am Anfang der Entstehungsgeschichte an: Gibt es organische Stoffe, wie beispielsweise Kohlenwasserstoffe, also die sogenannten "Bausteine des Lebens" auch im All? Wo finden wir sie und über welche Mechanismen verbreiten sie sich und können so beispielsweise auf die Erde gelangen?
Unser Vorgänger-Instrument, der Cosmic Dust Analyzer an Bord der NASA-Mission Cassini-Huygens, hat zum Beispiel beim Durchfliegen von Geysiren des Saturnmonds Enceladus Wassermoleküle delektierten können – eine ganz große Entdeckung. Man geht davon aus, dass dort unter einer Eisschicht flüssiges Wasser vorhanden ist. Eine der wichtigen Voraussetzungen für die Entstehung von Leben.
Mit der DESTINY+ Mission untersuchen wir nun die Staubumgebung des Asteroiden Phaethon. Asteroiden und Kometen, so die Theorie, könnten durch Einschläge organisches Material auf andere Himmelskörper bringen, wo dann, unter den passenden Voraussetzungen, Leben entstehen kann. Nun gilt es also nachzuweisen, dass tatsächlich organisches Material auf ihnen zu finden ist. Das ist eines der großen wissenschaftlichen Ziele der Mission. Der Asteroid Phaethon spielt in diesem Fall für die Erde eine besondere Rolle. Er ist der mutmaßliche Ursprungskörper der bekannten Geminiden-Sternschnuppenschauer Mitte Dezember, hinterlässt also Partikel auf seiner Flugbahn, die beim Durchfliegen in die Erdatmosphäre eindringen und dort verglühen.
Sie bekommen einen Preis, der zu Ehren von Amelia Earhart gegründet wurde. Kannten Sie die berühmte Pilotin vor Ihrer Bewerbung?
AE: Ich glaube zum ersten Mal habe ich tatsächlich als Kind von Amelia Earhart gelesen, vielleicht in einem der "Was ist was"-Bücher. Damals erschien mir das auch gar nicht weiter aufsehenerregend, dass eine Frau als Flugpionierin Transatlantik- und Pazifik-Alleinflüge machen sowie eine Weltumrundung versuchen würde. Warum denn auch nicht, sie war eben sehr mutig, damit konnte ich mich identifizieren. Heute ist mir natürlich klar, was das zu dieser Zeit bedeutete, welche Hindernisse und Vorurteile ihr im Weg standen und wie außergewöhnlich es war, dass sie sich den gängigen Stereotypen widersetzte.
Ich wünschte, heute, knapp 90 Jahre später, könnte man sagen, dass es zur Normalität geworden wäre, dass Frauen Pilotinnen sind oder in technischen Berufen arbeiten. Aber auch heute wird es noch als "außergewöhnlich" gehandelt. "Wow, du als Frau machst Luft- und Raumfahrttechnik".
Die offiziellen Hürden sind kleiner geworden, ohne Frage, aber es ist eben nicht genug nur Möglichkeiten zu schaffen. Die Hürden in den Köpfen müssen weichen, lang tradierte (Gender-)Normative sich auflösen. Wichtig ist hier vor allem Repräsentation.
Kinder und Jugendliche brauchen Vorbilder, mit denen sie sich identifizieren können. Also eben nicht nur die klassischen weißen männlichen, sondern starke weibliche und diverse Vorbilder, Schwarze und People of Color als Heldenfiguren, denn das bildet die Diversität der Gesellschaft ab.
Ariane Exle
Wenn wir in bestimmten Berufen große Teile der Gesellschaft ausschließen, gehen uns unglaublich viele Talente und vor allem auch andere, neue, wichtige Sichtweisen und Herangehensweisen verloren.
Was ist Ihr berufliches Ziel für die Zukunft?
AE: Unser Projekt läuft noch eine Weile, und auch nach Abschluss meiner Doktorarbeit noch weiter. Was danach kommt, mal sehen, konkrete Pläne habe ich dafür nicht, möchte sie auch gar nicht. Zum einen habe ich das Vertrauen, dass sich das schon ergibt. Zum anderen würde ich das auch nicht als Ziel formulieren, auf das man hinarbeitet und dann ist man irgendwann angekommen. Ich verstehe berufliche Karriere, genauso wie auch das Leben an sich, als einen Prozess, eine stetige Weiterentwicklung, Aufgaben an denen man wächst, neues Wissen und Erkenntnisse, die einen neue Perspektiven erschließen lassen. In diesem Prozess wird es also sicherlich viele verschiedene interessante Stationen und Projekte geben.