„Nett von hier oben… Aber wenn man etwas genauer hinschaut, gibt es noch einiges zu tun.“ Zum Auftakt der Jahresfeier zitierte der Rektor, Professor Wolfram Ressel, aus einem Video für die neue zentrale Universitätsstiftung, das ein junges Team der Filmakademie Baden-Württemberg gedreht hat. In den kurzen Worten würden die komplexen Hintergründe der Stiftungsgründung am besten auf den Punkt gebracht, meinte Ressel. Denn die „Stiftung Universität Stuttgart“ solle die sehr erfolgreiche Arbeit der Vereinigung von Freunden der Universität Stuttgart e. V. (VFUS) nicht nur fortsetzen, sondern vor allem auch erweitern – und zwar mit „deutlich mehr Strahlkraft und Schlagkraft“. „Wir werden mit der Stiftung Universität Stuttgart unsere Außenwirkung verstärken, unsere Vernetzungen und Verknüpfungen zu Alumni und Wirtschaft weiter ausbauen und auch unsere Fördermittelbeschaffung auf eine neue Ebene bringen“, sagte Ressel.
Stiftung führt hundertjährige Arbeit für Forschung, Lehre und Bildung weiter
Die VFUS, die genau hundert Jahre zuvor gegründet worden war, hatte die engen Beziehungen der Universität Stuttgart zur Wirtschaft gepflegt sowie Forschung, Lehre und Bildung auf sehr vielfältige Weise unterstützt – vom Deutschlandstipendium für leistungsstarke Studierende über das Studium Generale bis zum Akademischen Chor und Akademischen Orchester der Universität. Diese und weitere ausgesuchte Fördermaßnahmen der VFUS werde die neue Stiftung fortführen, sagte Ressel. „Doch wir wollen auch weitere Förderungen ermöglichen und konzipieren, von der Exzellenz in Forschung und Lehre bis hin zu infrastrukturellen Vorhaben.“ Indem die neue Stiftung einerseits zu einer soliden Ressourcenausstattung beiträgt und andererseits die nachhaltige Finanzierung der Aufgaben und Aktivitäten der Universität Stuttgart sichert, soll auch der Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort Baden-Württemberg gestärkt werden.
Unter den Initiatoren der Stiftung Universität Stuttgart hob der Rektor insbesondere den langjährigen VFUS-Unterstützer Dr. Volkmar Denner hervor. Der Familie Stihl, der Vector Stiftung und der Christian Bürkert Stiftung dankte er für ihre „großzügigen Beiträge zum Kapitalstock der Stiftung“. Einen weiteren wesentlichen Beitrag hätten die ehemaligen Mitglieder der VFUS geleistet, die neben der Universität selbst Mitstifterin ist. Alle Anwesenden ermutigte Ressel, sich gleichfalls mit Engagement und finanziellen Zuwendungen an der Stiftung Universität Stuttgart zu beteiligen: „Nur gemeinsam können wir Großes bewirken!“
Stuttgarter Meilensteine in der Forschung
Im Anschluss hob der Rektor einige Forschungs-Highlights des vergangenen akademischen Jahres hervor, darunter Sonderforschungsbereiche zu visuellem Rechnen und umweltfreundlicherem Luftverkehr, ein neues Graduiertenkolleg zum gemischten Ionen-Elektronen-Transport, ein Forschungsprojekt der Carl Zeiss Stiftung zur Transformation der Energieversorgung sowie die aus Landesmitteln geförderten InnovationsCampus in den Bereichen Quantentechnologie und Mobilität der Zukunft. Quer durch die Disziplinen seien Stuttgarter Forschende mit wichtigen Preisen geehrt worden, freute sich Ressel. So erhielt Professor Achim Menges als erster Architekt in der Geschichte der Bundesrepublik den Leibniz-Preis. Der Virtual Reality/Augmented Reality-Experte Professor Dieter Schmalstieg wurde mit einer Alexander von Humboldt-Professur ausgezeichnet, die Philosophie-Junior-Professorinn Amrei Bahr mit dem Communicator-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft und des Stifterverbands.
Anlass zu besonderer Freude ist für Ressel die „sehr positive Entwicklung“ der Drittmittel: 2022 betrugen sie über 287.000.000 Euro, in diesem Jahr werden es noch mehr sein. 50 Prozent des Gesamtetats der Universität seien inzwischen aus Drittmitteln finanziert, sagte Ressel. „Das haben nicht viele Universitäten in Deutschland.“ Anlass zur Sorge gäben hingegen die deutlich gesunkenen Studierendenzahlen in den MINT-Fächern, insbesondere in den Ingenieurwissenschaften. Dieser Entwicklung solle unter anderem mit besserem Marketing und schnelleren Immatrikulationsverfahren entgegengearbeitet werden, kündigte Ressel an.
Gemeinsam an Erfolge anknüpfen
Im kommenden Jahr wird die Universität Stuttgart sich erneut mit mehreren Cluster-Anträgen in der Exzellenzstrategie von Bund und Ländern bewerben. Die Anträge aus verschiedenen Fakultäten bildeten „die ganze Vielfalt der Universität“ ab, sagte Professor Bernhard Keimer, Vorsitzender des Universitätsrats, in seinem Grußwort. „Wir sind gespannt auf die Ergebnisse der Begutachtung.“ Außerdem hob Keimer die Wahl von Anna Steiger zur neuen Kanzlerin und von Professor Michael Liebendörfer zum neuen Prorektor für Lehre und Weiterbildung im Juli 2023 heraus. Norbert Röhrl als Vertreter des Akademischen Mittelbaus und Anna Dannecker als Vertreterin der Studierenden äußerten in ihren Grußworten schon erste Wünsche zur Verwendung der Mittel der neuen Stiftung: Röhrl bat darum, die universitätsinterne Digitalisierung weiter voranzubringen, Dannecker sprach von „mehr als notwendiger“ Infrastrukturförderung für die Universitätsbibliothek, die seit einem Schwelbrand im August nur eingeschränkt zugänglich ist. Mit viel Freude erinnerte sich Dannecker an gelungene studentische Veranstaltungen wie die Einführungswochen für Erstsemester, die seit Oktober 2022 endlich wieder stattfinden konnten. Auch das zehnjährige Jubiläum der Studierendenvertretung stuvus wurde im Juli 2023 mit einem mehrtägigen Programm gefeiert.
Sobeks Festvortrag: Bautechnologien von morgen
Den Festvortrag „Bauen in der Welt von morgen jenseits technologischer Wunschvorstellungen“ hielt der Stuttgarter Pionier des Leichtbaus und des nachhaltigen Bauens, der emeritierte Professor Werner Sobek. Architektonisches Schaffen bedeute, schon heute zu konzipieren, was übermorgen menschliche Heimat sein werde, sagte Sobek. „Eine Suche nach Utopien im besten Sinne des Wortes!“ Zunächst sprach der Bauingenieur und Architekt die ungeheure Bedrohung durch den Klimawandel an, der schon in wenigen Jahrzehnten zur Nicht-Bewohnbarkeit eines großen Teils der Erde führen könnte. Die Ursachen des Klimawandels und die unmittelbaren Wirkungen habe die Menschheit zwar verstanden, die Folgen – Ernteausfälle, Hungersnöte und massenhafte Klimamigration – aber größtenteils noch nicht. Herkömmliches Bauschaffen sei weltweit für 60 Prozent des Ressourcenverbrauchs und etwa 50 Prozent aller klimaschädlichen Emissionen verantwortlich, sagte Sobek weiter. Mit diesen Mitteln Wohnraum auf westlichem Niveau für die zehn Milliarden Menschen zu schaffen, die 2050 auf der Erde leben werden, sei schlicht unmöglich: Pro Sekunde müssten dafür mehrere tausend Tonnen an Ressourcen verbaut werden.
Mit Fotos innovativer Leichtbau-Strukturen und Baumaterialien, die am von Sobek gegründeten Institut für Leichtbau Entwerfen und Konstruieren (ILEK) entwickelt wurden, illustrierte der Festredner, dass die technischen Komponenten von ökologisch nachhaltigem Bauen heute bereits vorhanden sind: „Die Universität Stuttgart ist weltweit führend in der Technologie, die wir brauchen, um mit weniger Material für mehr Menschen zu bauen“. Bis zu 80 Prozent Einsparungen an Ressourcen seien möglich. Das Spektrum der innovativen Lösungen aus Stuttgart reicht von der Verwendung regionaler Baustoffe über neue Recycling-Technologien bis hin zu adaptiven Strukturen, die sich – weltweit einzigartig – an bewegliche Gewichtsbelastungen anpassen.
Um die Probleme der Zukunft anzugehen, reichten Technologien allein jedoch nicht aus, betonte Sobek und erklärte damit das Wörtchen „jenseits“ im Titel seines Vortrags: Nötig sei eine gesamtgesellschaftliche Verständigung auf Ziele und Prioritäten. In diesem Zusammenhang verwies Sobek auch auf den „immensen Materialverbrauch“ bei der Wärmedämmung und darauf, dass das Bauen eines Gebäudes weit mehr CO2-Emissionen verursacht als später das Heizen.
Ehrendoktorwürde für Christian Heipke
Anschließend wurde Professor Christian Heipke von der Leibniz-Universität Hannover die Ehrendoktorwürde für Verdienste auf den Forschungsgebieten der Digitalen Photogrammetrie und Fernerkundung, seinen hohen ehrenamtlichen Einsatz für die Weiterentwicklung von Organisationen auf diesen Forschungsgebieten und seine enge Verbundenheit mit der Universität Stuttgart verliehen.
Nach der Verleihung der Bürkert Universitätspreise spielte das Akademische Orchester der Universität Stuttgart unter Leitung von Mihály Zeke mit Verve und Brillanz die „Akademische Festouvertüre“ von Johannes Brahms. Anlass zur Komposition des heiteren Stücks, das mehrere Studentenlieder zitiert, war 1880 die Verleihung der Ehrendoktorwürde der Universität Breslau an Brahms. Ein musikalischer Abschluss also, wie er besser nicht zur Jahresfeier hätte passen können.