Die Landesverwaltung, zu der auch Hochschulen zählen, muss bis 2030 klimaneutral werden. So steht es in dem im Oktober 2021 novellierten baden-württembergischen Klimaschutzgesetz. Trotz großer Herausforderungen und zeitlichen Drucks möchte die Universität Stuttgart eine Vorreiterrolle einnehmen. Rektor Prof. Wolfram Ressel zitierte zur Eröffnung des Kamingesprächs am 13. Januar 2022 den Struktur- und Entwicklungsplan der Universität Stuttgart: Die Universität Stuttgart agiert gemäß ihrer Vision „Intelligente Systeme für eine zukunftsfähige Gesellschaft“ und bekennt sich zu ihrer Verantwortung, einen aktiven und ehrgeizigen Beitrag zu Nachhaltigkeit und insbesondere Klimaschutz und Klimaanpassung zu leisten. „Dazu stehen wir“, sagte er. „Als Forschungsuniversität bringen unsere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler klimarelevantes Wissen voran und leisten Beiträge zur Beantwortung klimarelevanter Fragestellungen, zum Beispiel in den Bereichen Leichtbau, Umweltmodellierung oder Klimafolgenforschung.“
Ressel erklärte, dass die Universität in der Vergangenheit vieles auf den Weg gebracht habe, insgesamt sei das aber erst der Anfang. Ein Baustein ist das 2021 gestartete Reallabor CampUS hoch i, sowie das zukunftsweisende Forschungs- und Innovationsprojekt Mobility Living Lab (MobiLab). Außerdem hat die Universität seit vergangenem Jahr ein Green Office. Es agiert als Anlaufstelle für Nachhaltigkeit für Studierende und alle Mitarbeitenden und organisierte das Kamingespräch.
Das Green Office unterstütze CampUS hoch i beim ersten Kamingespräch „Klimaneutraler Gebäudebetrieb“ und organisierte zusammen mit MobiLab das zweite Kamingespräch „Klimaneutrale Mobilität“, deren Ergebnisse nun in das hochschulöffentliche Kamingespräch einflossen. Einen weiteren Beitrag leistet das Energiemanagementsystem, das zusammen mit dem Institut für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung (IER) unter anderem eine erste CO2-Bilanz der Universität erstellt hat. „Meines Wissens ist es die erste und einzige CO2-Bilanz, die an einer Universität in Baden-Württemberg vorliegt“, sagte Ressel.
Um klimaneutral zu werden, brauchen die Hochschulen aber auch Unterstützung aus der Politik. „Angesichts der Klimakrise befinden wir uns in einem dramatischen Wettlauf gegen die Zeit“, sagte Wissenschaftsministerin Theresia Bauer. „Um das große Ziel der Landesverwaltung zu erreichen, bis 2030 klimaneutral zu sein, braucht es das enge und gut abgestimmte Zusammenwirken von uns allen. Hier setzt die Universität Stuttgart mit ihrer mehr als 20-jährigen Tradition im aktiven Energiemanagement an. Sie hat fast mustergültig eine bauliche Entwicklungsplanung und eine Masterplanung erstellt und Sanierungsstrategien daraus abgeleitet. Reallabore und praxisnahe Konzeptstudien wie MobiLab und CampUS hoch i zeigen, dass die Universität die Kräfte der Wissenschaft bündelt, um die drängenden Zukunftsfragen anzugehen. Damit nimmt die Universität Stuttgart eine Vorreiterrolle im aktiven Klimaschutz ein und entwickelt Modelle, die beispielgebend für andere Hochschulen, öffentliche Einrichtungen oder Stadtbezirke sein können.“
Studierende und Beschäftigte sehen die Klimaneutralität positiv
Das Reallabor CampUS hoch i beschäftigt sich mit der Umsetzung von zwei Neubauprojekten und zwei Sanierungen im Bestand der Universität. Um herauszufinden, wie Klimaneutralität an der Universität Stuttgart aussehen soll, hat Prof. Cordula Kropp vom Zentrum für interdisziplinäre Risiko- und Innovationsforschung gemeinsam mit weiteren Forschenden des Reallabors eine Umfrage durchgeführt. Was wünschen sich die, die später in den veränderten Gebäuden lehren, forschen, arbeiten und studieren wollen? Kropp hat fast 1800 Studierende und Beschäftigte befragt, ein Drittel der Befragten war weiblich, fast zwei Drittel männlich und ein Prozent divers.
Die Teilnehmenden der Umfrage waren zur Hälfte Studierende und zur Hälfte Beschäftigte. 60 Prozent waren unter 30 Jahre alt. Welche Assoziationen haben die Befragten mit dem Thema Klimaneutralität? „Die meisten assoziieren zuerst die Reduktion der Treibhausgase, dann kommt das Denken an erneuerbare Energien, dann die Verkehrswende und Mobilität“, sagte Kropp. „Die Gebäude kommen verhältnismäßig nachgeordnet. Das ist nicht untypisch. Der Gebäudesektor gerät erst langsam in den Blick.“ Fünf Prozent befürchten, das Ganze sei Greenwashing. Greenwashing heißt, dass man sich ein umweltfreundliches Image verleiht, ohne dass es eine hinreichende Grundlage gibt. Außerdem will die überwiegende Mehrheit der Befragten, dass sich die Universität an einer reellen Klimaneutralität orientiert. Welche Maßnahmen sind dafür beliebt? „42 Prozent glauben, wir sollten mehr in der baulichen Isolation tun und 37 Prozent denken, durch automatisierte Klimamaßnahmen würden wir viel erreichen“, sagte Kropp.
Weniger Dienstreisen und ein autofreier Campus
Auch im Bereich Mobilität muss sich etwas ändern, wenn die Gesellschaft die Klimaziele bis 2030 erreichen will. Prof. Markus Friedrich vom Institut für Straßen- und Verkehrswesen zeigte ein mögliches Szenario auf: „Wir schaffen das mit einer Antriebswende, das heißt mit 15 Millionen E-PKWs“, sagte er. Außerdem müssen die übrigen Verbrennungsmotoren effizienter werden, LKWs auf E-Highways oder über Schienen transportiert werden und die Bevölkerung müsste 25 Prozent weniger Auto fahren. Eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 100 km/h würde 10 Millionen Tonnen CO2 einsparen und die PKW-Nutzungskosten müssten verdoppelt werden. „Das klingt unvorstellbar, aber ein Land wie Deutschland würde das bis 2030 schaffen“, meinte Friedrich.
Was kann die Universität im Bereich Dienstreisen tun? Dienstreisen im PKW-Bereich können einfach auf E-Autos, Webkonferenzen oder den öffentlichen Nahverkehr umgestellt werden. Für interkontinentale Reisen hat Friedrich ein Umdenken vorgeschlagen: „Könnten wir uns nicht vorstellen, dass wir weniger Konferenzen machen, aber länger dortbleiben? Jeder wissenschaftliche Mitarbeitende darf einmal während seiner Zeit in die USA fliegen, bleibt dort aber einen Monat, nimmt noch an einer Summerschool teil und wir empfehlen, dass er danach noch das Land kennenlernt.“ Im Bereich der Alltagsmobilität möchte die Universität gemeinsam mit dem Land eine Parkraumbewirtschaftung einführen. Das Ziel ist der autofreie Campus. „Damit wir das schaffen, brauchen wir MobiLab. Hier arbeiten wir an Radabstellanlagen, Radrouten zum Campus, einem Campusshuttle oder E-Ladesäulen“, sagte Friedrich.
Klimabilanz der Universität Stuttgart
Prof. Kai Hufendiek vom Institut für Energiewirtschaft und rationelle Energieanwendung stellte während des Kamingesprächs die Klimabilanz der Universität Stuttgart vor. „Die Hauptquelle der CO2-Emissionen ist unser Campus Vaihingen und da das Erdgas“, sagte er. Die Universität Stuttgart ist ein kleiner Energieversorger, daher geht eine große Menge an Erdgas in das Heizkraftwerk auf dem Campus Vaihingen. 40 Prozent der Emissionen der Universität sind wärmebedingte Emissionen, das heißt Gebäudewärme und Prozesswärme, Dampf und ein bisschen Warmwasser. Strom ist für 27 Prozent verantwortlich. Die drittgrößte Position ist der Berufs- und Studiumsverkehr.
Ziel ist es, keine direkten Emissionen mehr zu haben. „Dafür müssen wir das Heizkraftwerk auf klimaneutralen Brennstoff umstellen“, sagte Hufendiek. Eine Möglichkeit ist dabei Abwärme aus dem Höchstleistungsrechenzentrum (HLRS). Sie kann für die Wärme- und Kältebereitstellung genutzt werden. Hufendiek forderte eine Detailierung des Energie- und Klimakonzepts E-Campus, eine integrierte Wärmeplanung, hocheffiziente Neubauten, eine energetische Sanierung und einen intelligenten Gebäudebetrieb. Für die klimaneutrale Wärmeversorgung auf dem Campus Vaihingen hat der Wissenschaftler vorgeschlagen, neben der Abwärme des HLRS Wärmepumpen mit Erdwärmesonden einzusetzen, die Temperatur im Wärmenetz abzusenken und den Rest der Wärmeerzeugung in einem Heizkraftwerk oder Ersatzkraftwerk auf Biogasbasis oder grünem Wasserstoff umzusetzen. Abschließend ist sich Hufendiek sicher: „Die Studierenden und Universitätsangehörigen einzubeziehen ist ein Schlüssel zum Erfolg.“
Klimaneutralität gemeinsam umsetzen
Auf die Impulsvorträge folgte eine vom Green Office moderierte Podiumsdiskussion mit Ministerin Bauer, Rektor Ressel, Prof. Kropp, Prof. Friedrich, Philipp Franz (Studierendenvertretung stuvus), Juliane Heitkämper (Promovierendenvertretung DoKUS) und Dr. Norbert Röhrl (Personalrat der Universität). Alle waren sich einig, dass man gemeinsam an dem Ziel der Klimaneutralität arbeiten muss und dass dabei Studierende und auch Mitarbeitende der Universität eingebunden werden müssen. Wichtig seien neben technischen Maßnahmen auch Verhaltensänderungen. Ressel betonte in seinem Schlusswort, dass wir noch eine lange Strecke vor uns haben, die wir gemeinsam gehen müssen. Er wies auch darauf hin, dass alle in der Verantwortung sind: „Es ist wichtig, dass wir angreifen und Erfolge haben, weil wir nur so alle mitnehmen.“