Fast überall auf der Welt verwenden Menschen das Schütteln des Kopfes, um „nein“ zu sagen. Bereits der britische Naturforscher Charles Darwin hatte sich gewundert, warum Menschen unterschiedlichster Kulturen den Kopf schütteln, um Ablehnung auszudrücken. Darwin kommt auf eine spektakuläre Hypothese. Die weite Verbreitung des Kopfschüttelns könnte einen ganz natürlichen Grund haben:
Bei kleinen Kindern besteht der erste Act der Verneinung in einem Zurückweisen der Nahrung, und ich habe wiederholt bei meinen eignen Kindern bemerkt, daß sie dies durch ein seitliches Wegziehen ihres Kopfes von der Brust oder von irgend etwas, was ihnen in einem Löffel angeboten wurde, ausdrückten. Bei der Annahme von Nahrung und dem Einnehmen derselben in ihren Mund neigen sie ihren Kopf vorwärts.
Charles Darwin 1872: „Der Ausdruck der Gemütsbewegungen bei dem Menschen und den Tieren“
Tatsächlich sind Darwins Überlegungen einer der wenigen Erklärungsansätze, warum Menschen mit dem Kopf schütteln, um Dinge abzulehnen. Und die Idee klingt plausibel: Kinder kommen mit einem Saugreflex auf die Welt. Wenn ein Kind seinen Hunger an der mütterlichen Brust gestillt hat, muss das Saugen unterbrochen werden – und dies muss notwendigerweise durch eine Ausweichbewegung erfolgen, da der Saugreflex nicht einfach abgeschaltet werden kann.
Da Kinder anfangs noch wenig motorische Kontrolle über die Hände haben und eine Rückwärtsbewegung des Kopfes in der Regel nicht möglich ist, weil der Kopf aufgrund der schwachen Nackenmuskulatur durch die Hand oder den Arm der Mutter gestützt ist, bleibt dem Kind nur eine Möglichkeit, nämlich den Kopf zur Seite zu drehen. Ähnliches gilt natürlich auch für andere Arten der Nahrungsaufnahme, also wenn das Kind gefüttert und nicht gestillt wird. Es wäre also plausibel, dass sich aus einer solchen frühkindlichen Assoziation eine konventionalisierte Geste ergibt. Nachdem eine Assoziation zwischen der Seitwärtsbewegung des Kopfes und Ablehnung hergestellt wurde, ist es nur noch ein kleiner Schritt, diese Seitwärtsbewegung zur Verstärkung zu Wiederholen und die Bedeutung allgemein auf Negation zu erweitern.
Aber stimmt das wirklich?
Das Problem an Darwins Hypothese ist jedoch, dass sie nur schwerlich wissenschaftlich überprüfbar ist. Bross meint, man könne vielleicht die Hypothese selbst nicht direkt testen, aber die Vorhersagen, die sie macht. Wenn Darwin tatsächlich richtig liegt, dann können wir folgende Überlegungen anstellen:
- Die Geste sollte extrem weit verbreitet sein, da ihr Ursprung quasi ein natürlicher ist. Gleichzeitig ist die Geste nicht angeboren, was bedeutet, dass es dennoch die Möglichkeit gibt, dass sie in manchen Kulturen durch eine andere Geste „überschrieben“ wurde.
- Da die Geste Darwin zufolge aus einer Assoziation in einer extrem frühen Phase der Kindheit entsteht, sollten auch schon sehr kleine Kinder den Kopf schütteln, um ihre Ablehnung auszudrücken.
- Auch Menschen, die nicht dazu in der Lage sind, Gesten zu beobachten, sollten das Kopfschütteln im Repertoire haben. Dies betrifft insbesondere taubblind geborene Menschen.
- Die Assoziation von Futteraufnahme und Kopfbewegung ist nicht zwingend auf den Menschen beschränkt. Alle Säugetiere, die ein Konzept von Negation haben und auf ähnliche Weise gestillt werden, sollten theoretisch auch über Kopfschütteln verfügen.
Die Verbreitung des Kopfschüttelns
Zunächst stellt sich also die Frage, wo die Menschen denn tatsächlich überall mit dem Kopf schütteln, um „nein“ zu sagen. „Es gibt so gut wie keine Studie, die sich systematisch mit der Frage der Verbreitung des Kopfschüttelns beschäftigt hat. Gleichzeitig sollte man annehmen, dass wenn jemand in früheren Zeiten auf Reisen gegangen wäre und festgestellt hätte, dass die Menschen in einem fernen Land nicht den Kopf schütteln, um ‚nein‘ zu sagen, sondern eine andere Geste verwenden, dass man das doch für interessant befunden hätte und das niedergeschrieben hätte", sagt Bross. Tatsächlich fand er kaum Berichte über andere Gesten.
Kopfschütteln in Bulgarien, Griechenland oder der Türkei
In einigen wenigen Regionen der Welt bedeutet ein Kopfschütteln „ja“ und ein Kopfnicken „nein“. Dieses „verkehrte“ System findet sich jedoch extrem selten, am prominentesten in Bulgarien. Eine andere Möglichkeit besteht darin, den Kopf einmal kurz in den Nacken zu werfen und mit der Zunge zu schnalzen, um „nein“ auszudrücken. Diese Geste findet man in Süditalien und in Teilen Griechenlands und der Türkei. „Es fällt auf, dass die wenigen Ausnahmen Cluster bilden,“ so Bross. „Das macht die Annahme wahrscheinlich, dass diese Gesten einen Ursprung haben und dann kulturell weitergegeben wurden. Interessant ist außerdem, dass in der Literatur bisher übersehen wurde, dass die Kulturen, die dieses ‚griechische Nein‘ kennen, durchaus auch über ein Kopfschütteln verfügen."
Kopfschütteln in Gebärdensprachen
Weitere Daten bestätigten, dass das Kopfschütteln mit wenigen Ausnahmen von allen Kulturen verstanden wird und auch in früheren Zeiten verstanden wurde. „Es gibt zwar kaum Studien zur Verbreitung des Kopfschüttelns als sprachbegleitende Geste, aber es gibt viele Studien, die sich mit Kopfbewegungen in den Gebärdensprachen der Welt beschäftigen und alle Gebärdensprachen, die bisher untersucht wurden, verfügen in irgendeiner Weise über ein Schütteln des Kopfes zum Ausdruck von Negation – und zwar überall auf der Welt.“ Und irgendwie muss das Kopfschütteln in diese Gebärdensprachen gekommen sein.
Ab welchem Alter schütteln Kinder den Kopf?
Die zweite Vorhersage war, dass das Kopfschütteln als Geste sehr früh erworben werden müsse, wenn Darwin denn Recht hätte. Tatsächlich ist das Kopfschütteln eine der ersten Gesten überhaupt, die Kinder verwenden. Interessanterweise wird das Kopfschütteln zu Beginn nur als Geste der Ablehnung verwendet und eine rein logische negative Bedeutung kommt erst später hinzu.
Schütteln taub-blind geborene Menschen den Kopf?
Wenn es eine quasi natürliche Verbindung zwischen Kopfschütteln und Negation geben sollte, dann würde man vorhersagen, dass auch Menschen, die diese Geste nicht beobachten konnten, sie verwenden. Studien zum Gestengebrauch von taub-blinden Kindern zeigen tatsächlich, dass diese den Kopf schütteln, wenn man z. B. versucht, ihnen einen Gegenstand zu geben, den sie nicht wollen. Allerdings ist die Studienlage in diesem Bereich eher schwach und die Möglichkeit, dass die Kinder, die an den bisherigen Untersuchungen teilnahmen, das Kopfschütteln auf irgendeine Art implizit beigebracht wurde, kann nicht gänzlich ausgeschlossen werden.
Schütteln andere Säugetiere den Kopf?
Die letzte Vorhersage betrifft Tiere, die ihre Kinder auf ähnliche Art und Weise säugen wie Menschen. Diese sollten, vorausgesetzt, sie verfügen über ein Verständnis von Negation, ebenso eine Verbindung zwischen der Seitwärtsbewegung des Kopfes und der Negation möglich machen. Infrage kommen hier nur eine kleine Menge an Säugetiere, da der Großteil der Säuger ihre Kinder im Liegen oder Stehen säugt, was eine Seitwärtsbewegung des Kopfes nicht notwendig macht. Auf ähnliche Art und Weise säugen dennoch einige Affenarten ihre Kinder. Leider ist die Studienlage in diesem Fall ebenfalls nicht sehr gut. Die wenigen Studien, die im Bereich der Kopfgesten von Affen existieren deuten darauf hin, dass einige Affenarten ihren Kopf kaum zur Kommunikation verwenden. Immerhin Bonobos wurden dabei beobachtet, dass sie unerwünschtes Verhalten mit einem Kopfschütteln quittieren und hierzu gibt es sogar überzeugendes Videomaterial [en].
Dr. Fabian Bross forscht und lehrt am Institut für Linguistik/Germanistik der Universität Stuttgart. Er beschäftigt sich mit der Grammatik der Deutschen Gebärdensprache, mit sprachbegleitenden Gesten im Deutschen und der Schnittstelle zwischen Sprache und Denken.
Fazit
Darwins Hypothese, dass der Ursprung des Kopfschüttelns auf einer frühkindlichen Assoziation beruht, lässt sich nur schwer überprüfen. Die Vorhersagen, die diese Hypothese macht, sind jedoch selbst relativ gut überprüfbare Hypothesen, die größtenteils zutreffen, auch wenn die Forschung zum Gestengebrauch von taub-blind geborenen Menschen noch in den Kinderschuhen steckt und die Ergebnisse zum Gestengebrauch von Affen, zumindest für einige Arten, nicht ganz eindeutige Ergebnisse bereithalten.
Studie von Bross: Why do we shake our heads? On the origin of the headshake. In: Gesture. [en]