„Eigentlich ist ein ‚Insektenhotel‘ ja gar kein Hotel. Der Begriff hilft aber, um sich vorzustellen, woran ich arbeite“, erklärt Linda Meier. Seit 2017 ist sie Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Akustik und Bauphysik (IABP) der Universität Stuttgart. Ihre Forschung: fassadenintegrierte Nisthilfen für Wildbienen.
Hotels brauchen Wildbienen tatsächlich nicht. Sie schlafen unter anderem gerne an Blattstängeln. Für die Eiablage suchen sie teilweise allerdings geeignete Hohlräume. Da kommt Meiers Promotionsthema ins Spiel.
Bessere Dämmung – Folgen für die Natur
Für Vögel und Fledermäuse gibt es bereits Konzepte, die Nisthilfen an Gebäuden anbringen oder direkt in die Außenwand einsetzen. Wenn sich vor der Sanierung mit geplanter Dach- und Fassadendämmung etwa ein Hausrotschwänzchen-Paar angesiedelt hat, dann ist die Sanierung nur erlaubt, wenn man den geflügelten Nachbarn ein Ausgleichshabitat zur Verfügung stellt. Sie einfach vor die Tür zu setzen, ist illegal. Es gibt Firmen, die sich auf diesen Ausgleichsbedarf spezialisiert haben.
Bei Insekten ist das anders. Hier gibt es bislang wenig bauphysikalische Forschung oder rechtliche Erfordernisse zu fassadenintegrierten Habitaten. Meier hat sich auf die Wildbiene konzentriert. Wildbienen brauchen zwei Dinge zum Leben: blühende Pflanzen als Nahrung für sich selbst und ihre Larven und geeignete Nistmöglichkeiten mit Material zum Nestbau. Durch menschliche Eingriffe ins Ökosystem ging beides so stark zurück, dass über die Hälfte der Wildbienenarten in Deutschland auf der Roten Liste steht. Gegen das Artensterben setzt Meier auf Lösungen aus der Bauphysik.
Gebäudebegrünung mit fassadenintegrierten Nisthilfen
„Es reicht natürlich nicht, Nistmöglichkeiten zur Verfügung zu stellen – wir müssen in größeren Zusammenhängen denken“, erklärt Meier. Damit auch Nahrung vorhanden ist, braucht es Blühpflanzen, am besten in einer Mischung, die über das Jahr hinweg bis in den Oktober hinein Nahrung bietet. Das IABP hat daher auch Fassaden- und Dachbegrünung im Blick und bezieht begrünbare Flächen in der Umgebung mit ein.
Belebter Parkplatz Pfaffenwaldring
Das bleibt keine Theorie. Wer über den Parkplatz am Pfaffenwaldring auf dem Campus Vaihingen schlendert, kann bereits Wildbienen entdecken. Dort hat die Wilhelma eine besondere Blüh-Mischung ausgesät. An dieser Stelle hat Meier, genau wie in der Nobelstraße etwa einen Kilometer weiter, jüngst auch ihre Versuchsfassaden aufgebaut. Sie kombinieren gängige Bauweisen, wahlweise aus Ziegelmauerwerk oder im Holzleichtbau. Nisthilfen in Holzbetonrahmen sind integriert. Die Bauphysikerin hat sie mit einem Lehmgemisch gefüllt und darin bereits Nistgänge vorgeformt – zum Fertigausbau für die Wildbiene selbst. Auch Schilfröhrchen mit verschiedenem Durchmesser sind verarbeitet. Die werden bereits für die Gebäudedämmung benutzt, für die Bienen müssen sie aber horizontal angeordnet werden. Auch gebrannter Ton und Hartholz, in das Löcher gebohrt wurden, kommen zum Einsatz. Jetzt fehlen nur noch die Bienen.
Wenn Mensch und Natur zusammenleben und beide profitieren
Ein Jahr lang wird Meier die Ansiedlungen beobachten und dabei bauphysikalische Messungen vornehmen. Wichtig sind vor allem Temperatur und Feuchtigkeit, auch mit Blick auf die späteren menschlichen Nachbarn auf der Innenseite der Fassade. Die Gebäudebeheizung im Winter soll ebenfalls simuliert werden. Energieeffiziente Wände und Dächer werden mit dem Angebot an die Tiere in Einklang gebracht. „Es soll für Mensch und Tier angenehm sein“, betont Meier.
Das Zusammenspiel von Mensch und Natur ist im IABP ständig präsent – ein Ansatz, der auch gesellschaftlich angenommen wird, erzählt Institutsleiter Prof. Philip Leistner: „Die Akzeptanz der Menschen für diese Entwicklung ist durchaus vorhanden, wie unsere Umfragen ergeben haben.“ Meiers Kollegin Pia Krause forscht mit selber Zielrichtung zur Wechselwirkung von Bäumen vor Gebäuden und dem jeweiligen Innenraumklima. Im besten Fall helfen Bäume, den Energieverbrauch im Innern zu senken, die Klimabilanz zu verbessern und gleichzeitig Lebensraum für Tiere zu erhalten.
Grüne Inseln in der Stadt
Bezieht man die Begrünung um und an Gebäuden, etwa auch großen Universitätsbauten mit ein, dann können gleichzeitig sogar in der Stadt Trittsteine für Tiere und Pflanzen entstehen: Eine großflächige Betonwüste können manche Tierarten und auch Pflanzensamen nicht überwinden, aber wenn sie immer wieder auf grüne Inseln, so genannte Trittsteinbiotope treffen, dann können sie sich verbreiten, den Genpool durchmischen und so können auch seltene Arten erhalten werden. „Kleine grüne Inseln bringen schon so viel“, erzählt Meier. Unter anderem beim Girls' Day engagiert sie sich, um ihre Begeisterung weiterzugeben. Auch die Relevanz von Umweltbildung für Kinder unterstreicht sie, um eine Entfremdung von der Natur zu verringern.
Einen Tipp wortwörtlich für den Hausgebrauch gibt sie zuletzt mit auf den Weg: „Die Blütenstängel nach dem Blühen einfach stehen lassen – viele Insekten ziehen sich in die Stängel zurück, um in ihnen zu überwintern. Es muss nicht immer alles aufgeräumt sein, manchmal bedeutet Unordnung Lebensraum.“