Cooles Styling, edles Material – daran denken nach deutschem Sprachverständnis wohl die meisten beim Stichwort „Design von Fahrzeuginnenräumen“. Doch hinter dem Begriff „Interior Design Engineering“ verbirgt sich weitaus mehr: „Mein Forschungsgebiet umfasst die gesamte technische Innenraumkonzeption von Fahrzeugen, von der Analyse bis zur Gestaltung. Hierbei muss eine Vielzahl an Komponenten und Materialien zur Gestalt des Fahrzeuginnenraums, diesem ‚Transport-Gefäß‘, zusammengeführt werden. Wichtig ist es dabei, die technischen Möglichkeiten ebenso zu berücksichtigen, wie die menschlichen Bedürfnisse“, erklärt Remlinger. Innovative rechnergestützte Verfahren und Modellierungen helfen dabei.
Interior Design Engineering ist herausfordernd, aber prägend: „Die Auslegung des Innenraums entscheidet über die Aufenthaltsqualität der Menschen, aber auch über die Gesamtgestalt des Fahrzeugs selbst“, so Remlinger. Und das gilt nicht nur für Pkw, sondern auch für die Busse, Lastwagen, Landmaschinen, Züge, Flugzeuge bis hin zu Kreuzfahrtschiffen.
Das besondere Augenmerk bei der Innenausstattung ist heute noch auf den Platz des Fahrers oder der Fahrerin gerichtet: Bedienelemente und Sichtbezüge sind so zu gestalten, dass das Fahrzeug sicher gesteuert und kontrolliert werden kann, Kommunikationsbeziehungen sind einzubinden. Mit dem Vordringen des autonomen Fahrens dürfte sich dieser Fokus künftig verändern. Wenn Steuerung und Überwachung des Fahrzeugs teilweise oder irgendwann ganz automatisiert ablaufen, werden Fahrzeuglenker*innen zu passiven Insassen, die ihre Zeit anders nutzen möchten - zum Beispiel lesen, spielen, essen, arbeiten oder mit den Mitfahrer*innen diskutieren. Will man diesem Bedürfnis gerecht werden, sollten Halterungen für Tablets, eine gute WLAN-Verbindung und Gruppensitze in das Interieur eines Pkw integriert werden. Das Auto wird quasi zum Lebensraum.
Je nach Nutzungs- und Insassenkonstellationen eines Fahrzeugs sind dabei unterschiedliche Faktoren zu berücksichtigen und kreative Lösungen gefragt, meint Remlinger. „In einem Fernverkehrs-Lkw muss man schon heute Möglichkeiten zum Kochen und Schlafen integrieren, was schwierig ist, weil die Raumverhältnisse im Führerhaus beengt sind und das Geld mit dem Laderaum verdient wird. Bei urbanen Fahrzeugen wiederum, die flexible Fahrgemeinschaften transportieren sollen, muss man darauf achten, dass die Auslegung besonders pflegeleicht und robust ist.“
Nachhaltigkeit und Recyclingfähigkeit fördern
Ein weiterer Aspekt der Forschung Remlingers ist die Integration neuer Technologien in das Fahrzeuginterieur – und dabei pocht er auf ein Umdenken. Gerade bei Pkw sei der Fahrzeugbau derzeit extrem auf Kostenersparnis getrimmt, Aspekte wie Reparaturfreundlichkeit, Upgrade und Recyclingfähigkeit dagegen kämen noch zu kurz. „Bisher sollen Fahrzeugbestandteile in der Herstellung günstig sein, am Ende der Nutzung werden sie geschreddert und häufig verfeuert.“ Um dies zu ändern, will Remlinger Innenraummodule entwickeln, die längere Nutzungszyklen und ein zweites Leben ermöglichen, ohne deshalb das Fahrzeug spürbar zu verteuern. „Dies erfordert zum Beispiel andere Materialien und insbesondere eine Elektronikintegration, die ein Fahrzeug nicht schon nach drei bis fünf Jahren total veralten lässt, während Karosserie, Fahrwerk und Antrieb noch ‚State of the Art‘ sind.“
Der Lösungsansatz für dieses Problem lautet modulare Nachrüstung. Er zielt darauf ab, dass Elektronikelemente im Auto ähnlich wie die Grafikkarte oder der Bildschirm am PC einzeln ausgetauscht oder upgedatet werden können. Bisher scheitert dies daran, dass alle Elemente spezialisiert und hoch integriert sind. „Da wird sich die Industrie umstellen müssen“, folgert Remlinger, der sich auch noch einen ganz anderen Weg vorstellen kann: „Vielleicht bringt der Fahrer die Steuerung in Zukunft separat mit und sein eigenes Tablet zeigt an, auf welcher Route und mit welcher Geschwindigkeit man gerade unterwegs ist.“ Dafür allerdings müsste das private Tablet oder Handy erst einmal technisch sicher mit dem Auto kommunizieren. An Forschungsfragen mangelt es dem neuen Lehrstuhlinhaber also nicht.
Über Prof. Wolfram Remlinger:
Wolfram Remlinger, geboren 1968 in Essen, studierte Maschinenbau mit Fachrichtung Fahrzeugtechnik an der RWTH Aachen und arbeitete zunächst als Konzeptentwickler für Innenraum und Gesamtfahrzeugauslegung bei der AUDI AG. 2006 wechselte er als wissenschaftlicher Mitarbeiter an die TU München, wo er 2013 auf dem Gebiet der Fahrzeug-Ergonomie promovierte. 2010 kehrte er zurück zu Audi und koordinierte die Methodenentwicklung in den Bereichen Virtual Reality und Fahrsimulation für automatisiertes Fahren.
2020 wurde Remlinger als Professor auf den neu eingerichteten Lehrstuhl „Interior Design Engineering“ am Institut für Konstruktionstechnik und Technisches Design (IKTD) der Universität Stuttgart berufen. Der Lehrstuhl ergänzt die bisherigen Professuren von Prof. Hansgeorg Binz (Schwerpunkt Methodische Produktentwicklung, Antriebstechnik und rechnerunterstützte Produktentwicklung) und Prof. Thomas Maier (Interfacedesign, Designmethodik und Fahrzeugdesign) am IKTD. Eine weitere Professur im Bereich Leichtbau soll im Laufe des Jahres hinzukommen.
Kontakt:
Prof. Dr.-Ing. Wolfram Remlinger, Leiter Interior Design Engineering am Institut für Konstruktionstechnik und Technisches Design, Tel. +49 (0) 711 / 685 – 66061, E-Mail