Wie will sich die Universität in Zukunft entwickeln? Beim Strategiedialog, einem neuen Format zur internen Kommunikation über zukünftige Entwicklungen, machen sich Studierende, Promovierende, Mitglieder des Rektorats und weitere Expertinnen und Experten aus den Bereichen Mobilität, Energie und Umweltsoziologie darüber Gedanken.
Vom ersten Treffen Ende Januar zeigt sich der Rektor, Prof. Wolfram Ressel, begeistert: „Die Gespräche, die wir dort führen, über die Hierarchien und auch über die Fächerkulturen hinweg, sind wirklich sehr bereichernd.“ Deshalb sollen die Dialoge zu wechselnden Themen und mit unterschiedlichen Zielgruppen in Zukunft ein bis zweimal im Jahr stattfinden. Die Strategiedialoge knüpfen an die positiven Erfahrungen in den uniweiten SWOT-Workshops vor dem Antrag auf Exzellenzuniversität an und sind eine der Maßnahmen der DFG-„Exzellenzpauschale“.
Das Thema des 1. Strategiedialogs lautet: Wie stellen Sie sich die (ökologisch) nachhaltige Universität Stuttgart vor? Wichtige Handlungsbereiche sind Mobilität, Energie, Gesundheit und Ernährung. Dr. Eric Heintze, der im Rektoratsbüro Gründungsprojekte unterstützt, gibt eine Definition von Nachhaltigkeit: „Die eigenen Bedürfnisse abzudecken, ohne die Bedürfnisse der zukünftigen Generation einzuschränken.“ Er betont: „Das bedeutet, Nachhaltigkeit muss gelebt werden.“ Deshalb hat die Hochschulleitung 25 Studierende und Promovierende aufgerufen, im Naturkundemuseum Schloss Rosenstein eigene Ideen zu entwickeln und in Gruppen vorzustellen.
Dienstflugreisen einschränken
Jakob Dürrwächter, der im Fach Luft- und Raumfahrttechnik promoviert, hat sich mit seiner Gruppe die Frage gestellt, was Beschäftigte bei Dienstreisen ändern können, um das Klima zu schützen. Er sagt, eine Voraussetzung der Universität sei es, dass die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler internationale Forschung betreiben und sich daher auch international vernetzen müssten. Gleichzeitig würde dabei aber jede Menge CO2 ausgestoßen. Dürrwächter betont: „An der ETH Zürich werden mehr als die Hälfte der Emissionen der Uni durch Dienstreisen verursacht und den absoluten Großteil machen Flugreisen aus.“ Das sei ein riesiges Problem und deshalb brenne es den Forschenden unter den Nägeln, etwas daran zu ändern. Zur Umsetzung haben sich Dürrwächter und sein Team konkrete Lösungen überlegt: „Wir sehen vor allem zwei Wege, das Ganze anzugehen. Zum einen wollen wir Flugreisen soweit es geht vermeiden. Und da, wo das nicht möglich ist, sind Kompensationen der beste Weg.“ Die Basis dafür sei eine gute Informationsgrundlage, erklärt der Doktorand. Damit man sich Ziele setzen könne, müsse es transparente Daten dazu geben, wie viel CO2 über Dienstreisen ausgestoßen werde. Um Emissionen zu reduzieren schlägt er vor, auf Flugreisen unter 1000 km zu verzichten. Außerdem sollen Alternativen, wie Videokonferenzen, geschaffen werden. Dazu müsste die Universität mehr Equipment im Bereich Software und Hardware zur Verfügung stellen. Bei der Kompensation von CO2 ist es Jakob Dürrwächter wichtig, dass die unterstützten Projekte tatsächlich CO2 einsparen und keine Rechentricks passieren. „Am sichersten wäre es, wenn wir zumindest teilweise Projekte hier lokal schaffen“, sagt er.
Fahrradboxen auf dem Campus
Einen konkreten Vorschlag für einen emissionsfreien Campus hat Claudio Schmaus von der Hochschulgruppe Infinity ausgearbeitet. „Vielleicht kennt ihr das Problem, wenn ihr mit dem Rad unterwegs seid und es an einem zentralen, belebten Ort abstellen möchtet, aber immer das unwohle Gefühl habt, ob oder wie ihr das Rad hinterher wieder vorfindet“, beschreibt er bildhaft. Um das Problem zu lösen, möchte er mit seiner Arbeitsgruppe Fahrradboxen auf dem Campus installieren, in denen man Fahrräder wegsperren kann. Schmaus erklärt, dass man bei den Boxen zwischen verschiedenen Designs wählen könne, sodass viele Fahrräder auf engem Raum Platz hätten. Außerdem könne man sie zum Beispiel oben begrünen. Ein weiterer Vorteil der Boxen sei, dass man auch einen Fahrradhelm oder eine Tasche darin verstauen könne. Der Elektromobilitätsstudent stellt heraus, dass die Boxen einfach zu bedienen seien: „Der Reservierungsprozess kann digital per App abgewickelt werden. Denkbar sind aber auch mechanische Alternativen.“
Nachhaltigkeit in der Lehre
Bruno Wipfler, stuvus, will Nachhaltigkeit in der Lehre der Universität verankern. Er begründet sein Vorhaben damit, dass Lehre eine Kernaufgabe der Universität sei und Nachhaltigkeit zu den wichtigen Themen unserer Zeit gehöre. Die Basis für seine Idee bildet Reflexion über Begriffe und Methoden des jeweiligen Studiengangs. Darüber hinaus fordert Wipfler: „Wir müssen auch über die Verantwortung reflektieren, die wir gegenüber der Gesellschaft haben und über die Folgen unseres Handelns.“ Für die Reflexion solle in jeden Studiengang ein Pflichtmodul eingebaut werden. Die zweite Stufe wäre Sensibilisierung für die Herausforderungen unserer Gesellschaft. Das könne man in Schlüsselqualifikationen verwirklichen. Als dritte Stufe schlägt Bruno Wipfler vor, dass Studierende Fähigkeiten entwickeln sollen, die Herausforderungen der Gesellschaft zu meistern. Dafür seien zum Beispiel Projektarbeiten im Fachstudium geeignet.
Campus als Begegnungsort
Der Campus als Begegnungsort ist ein Konzept, das die Vernetzung von Menschen in den Vordergrund stellt. „Generell sind wir global komplett vernetzt“, erklärt Evelyn Klooz, die das Thema präsentiert. „Wir sind digital unterwegs. Wir vernetzen uns mit Unternehmen, zwischen Städten, zwischen Ländern. Dadurch haben wir uns einen immensen Wissenspool angeeignet.“ Auch an der Universität gibt es viel Wissen, worin die Studentin ein großes Potential sieht. Doch wie findet Vernetzung und Kommunikation an der Universität statt? Wie wird das Wissen über die Studiengangsgrenzen hinaus transportiert? Eine Lösung sehen Klooz und ihr Gruppenpartner Jerome Hildebrandt darin, dass die Hochschulleitung auf dem Campus Räume der Begegnung schafft. Damit sind physische Räume gemeint, aber auch Veranstaltungen und Seminare, in denen man sich austauscht. „Es gibt schon tolle Möglichkeiten an der Uni, wie den Freiraum, den Park in der Stadtmitte oder im Sommer Campusbeach“, lobt Klooz. „Aber es fehlt mehr davon. Genau da müssen wir gemeinsam weitermachen.“ Hildebrandt erklärt, dass die Vernetzung der Mitarbeiter und Studierenden der Universität auch zur Nachhaltigkeit beiträgt. Man könne beispielsweise Maschinen in größerem Umfang gemeinsam nutzen und somit Ressourcen schonen. Außerdem könne man auch Fahrgemeinschaften mit Leuten aus unterschiedlichen Fakultäten einrichten. „Wenn du nicht nur auf dein Institut schaust, oder auf deinen Studiengang, sondern dich eher im gesamtuniversitären Kontext siehst, dann identifizierst du dich auch viel mehr mit der Uni“, sagt Hildebrandt. Klooz ergänzt: „Wir wollen nicht nur einen Raum schaffen, sondern eine ganze Kultur. Eine Kultur des Austauschs und der Zusammenarbeit.“
Wie wird die Uni klimaneutral?
Besonders einprägend macht David Kopp auf die Klimakrise aufmerksam. Er beginnt seine Präsentation mit einer Grafik der „Warming Stripes“ für Stuttgart. Die Grafik stellt die Jahre 1941 bis 2018 in farbigen Streifen dar und zeigt einen drastischen Anstieg der Durchschnittstemperatur: Zu Beginn lagen die jährlichen Durchschnittstemperaturen bei unter 8 °C, inzwischen steigen sie fast jährlich an und liegen inzwischen bei über 11 °C. „Wenn wir weiterhin so viele Treibhausgase ausstoßen, dann haben wir das verbleibende globale CO2-Budget für das 1,5 Grad-Ziel in sieben Jahren aufgebraucht. Das sollten wir verhindern“, mahnt Kopp. Sein Ziel ist deshalb ein klimaneutraler Campus. Der Student schlägt vor, am Campus Vaihingen ein Reallabor zu schaffen. Er möchte den Forschungscampus zum Gegenstand der eigenen Forschung machen. „Wir haben hierfür bereits viel Expertise an der Universität, zum Beispiel die Institute für Wasser- und Umweltsystemmodellierung, Energieübertragung oder Gebäudeenergetik“, sagt er. Um alle Akteure miteinander zu vernetzen, müsse man interdisziplinär und transdisziplinär arbeiten. Als Handlungsfelder nennt David Kopp, der sich auch für das Klimaschutzbündnis „Campus for Future“ engagiert, Reisen, Wärme, Strom, Materialeinsatz und Verpflegung.
Nachhaltigkeit von Gebäuden
Der Bau und die Sanierung von Gebäuden sind wichtige Themen für die Universität Stuttgart. Nachhaltige Projekte kann die Universität aber leider nicht allein durchsetzen. Torben Rathje erklärt: „Die Gebäude gehören dem Finanzministerium des Landes Baden-Württemberg, aber das Unibauamt verwaltet alles und die Uni selbst nutzt sie. Und diese drei Akteure müssen sich verständigen. Wegen dieser Struktur ist es schwierig, Entscheidungen zu treffen.“ Seine Arbeitspartnerin Elisa Ehrlicher ergänzt: „Gerade wurde beschlossen, diese Struktur in Teilen zu durchbrechen, damit die Uni bei einem anstehenden Neubau und drei Sanierungsobjekten mehr Einfluss hat und selbst bestimmen kann.“ Die Hochschulleitung plane ein neues Forschungsgebäude, welches auch als Reallabor funktionieren soll. Bei diesem neuen Gebäude spiele vor allem das Energiemonitoring eine wichtige Rolle, sagt Ehrlicher. Man wolle den CO2-Bedarf des Gebäudes beobachten und die Ergebnisse an das Bundesland weiterleiten, damit dieses es gesetzlich einfacher mache, energieeffiziente Gebäude zu bauen. Elisa Ehrlicher erklärt, dass es aktuell die größte Hürde sei, über gesetzliche Verordnungen hinaus zu agieren. „Die Gebäude, die jetzt geplant werden, erfüllen die Standards. Aber es sind keine Passivhäuser oder Plus-Energiehäuser. Die würden mehr Geld kosten und das wird nicht finanziert.“ Ihr persönlich sei außerdem wichtig, dass es einen nachhaltigen Materialkreislauf gibt. „An der Uni wird wahnsinnig viel mit Beton gebaut“, sagt die Studentin und schlägt vor, dass man nur noch Recyclingbeton nutzen solle.
Hochschulleitung unterstützt Konkretisierung der Ideen
Die Präsentationen der Studierenden und Promovierenden bekommen viel Beifall und werden von allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern ausgiebig diskutiert. Prof. Peter Middendorf, der das Institut für Flugzeugbau leitet und Prorektor für Wissens- und Technologietransfer ist, weist darauf hin, dass die Uni eine Forschungsuniversität sei: „Wir haben sehr wichtige Forschungsergebnisse, mit denen wir auch hoffentlich einen hohen Impact in der Nachhaltigkeit erzielen.“ Um die Forschungsergebnisse international bekannt zu machen, müsse man allerdings an Konferenzen teilnehmen. „Das funktioniert auch über persönlichen Austausch. Man kann diesen durch Videokonferenzen zwar weiter reduzieren. Aber ganz ohne persönlichen Austausch funktioniert es nicht“, sagt er. Deshalb müsse man das Thema Flugreisen vernünftig handhaben. Man könne nicht ganz darauf verzichten, aber den Vorschlag, nur über 1000 km mit dem Flugzeug zu reisen, unterstützt er.
Der Kanzler Jan Gerken ist von den vorgestellten Konzepten begeistert. Für den Campus als Begegnungsort hat er selbst viele Ideen, die er in naher Zukunft umsetzen will. Er betont: „Wir brauchen mehr Aufenthaltsqualität. Wir planen für Vaihingen zum Beispiel eine Art Foodtruck-Konzept, damit die Leute auch einmal außerhalb der Mensa essen können. Oder man stellt im Sommer einen Eiswagen auf. Das sind kleine Schritte, die man aber schnell erreichen kann. Deshalb glaube ich, die Umsetzbarkeit ist hier sehr hoch.“
Auch Prof. Wolfram Ressel ist es wichtig, dass die Projekte umsetzbar sind. Er möchte sich vor allem für die Klimaneutralität einsetzen. „Zu den Reallaboren gibt es eine konkrete Ausschreibung des Wissenschaftsministeriums. Daran wollen wir uns beteiligen“, sagt er und bestärkt die Studierenden in ihrem Engagement für die Nachhaltigkeit: „Sie sind auch unser Sprachrohr nach außen. Wenn Sie etwas sagen, dann hört die Politik genau zu.“ Insgesamt möchte die Universitätsleitung das Thema Nachhaltigkeit prominent in der Universität platzieren. Deshalb wurde den Teams angeboten, ihre Ideen im „uniinternen Accelerator“ Let US elevate! im Rektoratsbüro weiterzuentwickeln und zu konkretisieren. Jedes Projekt wird dabei mit 5000 Euro unterstützt. Gleichzeitig werden die Ideen mit bestehenden Vorhaben der Universität vernetzt wie z.B. mit dem erwähnten Reallabor-Antrag zur Klimaneutralität oder dem Projekt MobiLab (Mobilität auf dem Campus).