Es war einmal eine Biomedizintechnik-Studentin in Arizona, USA. Sie hieß Hasina Shir und wollte sich für ein Forschungspraktikum im „Stuttgart University Program for Experiencing Research – SUPER” bewerben. Sie gab die Bewerbungsunterlagen ihrem Mentor Travis Sawyer zum Gegenlesen. Und der sagte begeistert: „Ich war 2014 über dieses Programm an der Uni Stuttgart. Am ITO. Es hat meinen Horizont erweitert und meine Liebe zum Reisen geweckt! Geh auch dorthin.”
Doch das ITO hatte sich in dieser SUPER-Runde gar nicht als teilnehmendes Institut gemeldet. Trotzdem fragte die Organisatorin des Programms, Babette Endrulat-Göhler vom Dezernat Internationales, dort nach. Alois Herkommer, Professor für Optikdesign und Simulation am ITO, musste nicht lange überlegen: „Travis war ein brillanter Kopf, ich war mehr als zufrieden mit seinen Ergebnissen im Praktikum. Wenn er nun eine andere Studentin empfiehlt und wir gerade ein passendes Thema haben, nehmen wir sie gern auf.”
Gesagt. Getan. Jetzt steht Hasina Shir im Labor des ITO auf dem Campus Vaihingen und tüftelt an einem etwa 30 Zentimeter hohen Versuchsaufbau. „Ich habe ihn gestern stundenlang auf- und wieder ab- und dann wieder aufgebaut”, erzählt sie und lacht. „Jetzt müsste dieser Teil endlich fertig sein.” Bald will sie Wasser durch die kleinen Schläuche pumpen. Die Partikel darin sollen ganz unten am Boden des mikrofluidischen Chips entlang fließen. Das soll mit Strahlungsdruck einer starken Lichtquelle von oben gelingen. „Aber diese Lichtquelle ist noch nicht Teil dieses Aufbaus”, sagt Shir. Das wird ihre nächste Aufgabe.
Das Forschungs-Ziel: Ein Infektions-Frühwarnsystem
Ziel des Projekts, das die Doktorandin Kathrin Doth am ITO bearbeitet und an dem Hasina Shir nun zwei Monate lang mitarbeitet, ist es, Bakterien und Viren mit optischen Methoden zu detektieren. Die Partikel, später Bakterien, müssen also an der richtigen Stelle des Chips positioniert sein, damit man sie unter einem Mikroskop sehen kann. „Die Flüssigkeit, die bei der Benutzung von Desinfektionsmittel-Spendern von den Händen nach unten tropft, soll aufgefangen und untersucht – und sozusagen als Frühwarnsystem, zum Beispiel in Krankenhäusern, eingesetzt werden”, erklärt Doth. „Man kann dann täglich sehen, wie viele Pathogene enthalten sind. Bei einer deutlich erhöhten Zahl ist auch die Wahrscheinlichkeit höher, dass eine Infektion im Krankenhaus rumgeht.”
SUPER ist großartig!
Hasina Shir, Biomedizintechnik-Studentin aus den USA
Genau diese anwendungsorientierte Forschung im Gesundheitsbereich ist es, die Hasina Shir an die Universität Stuttgart gelockt hat. „Als Biomedizintechnik-Studentin aus den USA einen universitären Auslandsaufenthalt in Deutschland zu machen, ist schwierig. Es gibt wenig passende Programme”, erzählt die 21-Jährige, die Familie in Deutschland hat und schon mehrmals im Land war. „SUPER ist großartig! Es passt genau zu meinen Zielen: Ich will nach Abschluss meines Bachelor-Studiums in einer Firma im Bereich optische Diagnostik arbeiten. Aber auch durch meine Erfahrungen hier am ITO überlege ich, ob eine Promotion nicht doch etwas für mich wäre.”
SUPER bringt begehrte Austauschplätze an US-Unis
Shir ist eine von neun nordamerikanischen Studierenden, die dieses Jahr am SUPER-Programm teilnehmen. Als Neustart „nach“ Corona – 2020 fiel es aus, 2021 nahmen zwei Personen virtuell teil – ist SUPER-Organisatorin Babette Endrulat-Göhler mit der Teilnehmerzahl ganz zufrieden. Was 2012 mit 3 Studierenden vom MIT und der University of Toronto begann, wuchs im Laufe der Jahre zu einem Programm mit bis zu 20 Teilnehmenden an. Inzwischen nehmen auch die University of Arizona, die Purdue University und die University of British Columbia teil. Im Gegenzug erhält die Universität Stuttgart Austauschplätze für ihre Studierenden an ausgewählten Partneruniversitäten. Das fördert die Internationalisierung.
SUPER ist ein tolles Programm. Es fördert Wissens- und kulturellen Austausch: Davon profitiert das ganze Institut.
Alois Herkommer, Professor für Optikdesign und Simulation am ITO
„In der Wissenschaft ist internationaler Austausch unabdingbar“, sagt Professor Alois Herkommer. „SUPER ist ein tolles Programm. Es fördert Wissens- und kulturellen Austausch: Davon profitiert das ganze Institut.“ Das ITO hat schon ein paar Mal SUPER-Studierende aufgenommen, sofern Fach und Interesse eben zur Technischen Optik, einem „speziellen Bereich“, passten. „SUPER bietet uns auch die Chance, Kontakte zu Top-Universitäten in unserem Fach zu knüpfen. Wir haben schon zwei Studierende an die University of Arizona geschickt.“
Was die nordamerikanischen SUPER-Studierenden hier erwartet, weiß Endrulat-Göhler: „Organisation im Vorfeld, Stipendium, Einschreibung, Unterbringung: All das gehört zum Service des Dezernats Internationales.” Alle Studierenden des zwei- bis dreimonatigen Programms erhalten eine monatliche Förderung über die Christian-Bürkert-Stiftung und kommen primär aus dem ingenieurwissenschaftlichen Bereich. Sie wohnen mit anderen deutschen und internationalen Studierenden in Wohnheimen. Dieser Austausch untereinander, das gemeinsame Erkunden Stuttgarts und Baden-Württembergs ist auch ein wichtiger Teil des SUPER-Programms.
In einer perfekten Welt sollte jeder die Möglichkeit haben, zu reisen und für eine Weile im Ausland zu leben.
Travis Sawyer, Junior-Professor am College of Optical Sciences der University of Arizona
Für Travis Sawyer, einer von Shirs Mentoren und inzwischen Junior-Professor am College of Optical Sciences der University of Arizona, war dieser kulturelle Aspekt während seines Aufenthalts in Stuttgart vor acht Jahren fast noch bedeutender als die erste praktische Erfahrung im Forschungslabor. „Es war meine erste längere Reise”, erzählt er via Webex. „Ich bin in den drei Monaten viel rumgekommen, habe viele Städte in Deutschland und Europa besucht, die Kultur aufgesogen. Das hat mir die Augen geöffnet.” Und ihn auch zum Master-Studium in Cambridge, Großbritannien, und zu weiteren Auslandsaufenthalten in Südkorea und den Niederlanden motiviert. „Das Erlernen unterschiedlicher Problemlösungsansätze und das Verstehen einer Vielzahl kultureller Hintergründe ist eine wesentliche Voraussetzung für kreatives und inklusives Denken. Das ist ein wichtiger Aspekt der Bildung und ermöglicht es, viele Dinge besser zu verstehen”, findet Sawyer. „In einer perfekten Welt sollte jeder die Möglichkeit haben, zu reisen und für eine Weile im Ausland zu leben.”
Das Team, das Sawyer an der Universität Arizona leitet, erziele auch dank Diversität gute Ergebnisse, sagt er. „Ich versuche, meine Leute zu Auslandsaufenthalten zu motivieren. Wer reist denn nicht gern? Nach kurzen Konferenzen probiere ich, Ihnen längere Aufenthalte wie SUPER schmackhaft zu machen.” Bei Hasina Shir hat das schon gut funktioniert. Sie kann sich inzwischen vorstellen, später auch noch länger im Ausland zu leben und zu arbeiten. Und Endrulat-Göhler berichtet von Studierenden, die an SUPER teilnahmen und danach zum Master-Studium oder für einen Job zurück nach Stuttgart kamen.
Im ITO-Labor hat Hasina Shir während ihrer zwei Monate Praktikum und mit der Unterstützung der Doktorandin Kathrin Doth den Versuchsaufbau fertiggestellt. Die Lichtquelle steht und strahlt, sie positioniert die Partikel jedoch leider noch nicht an der richtigen Stelle auf dem Chip. Daran muss Doth nun weiterarbeiten.
Und sie forschten glücklich und zufrieden bis an ihr Ende. Nicht nur in Stuttgart und Arizona, sondern in vielen Laboren weltweit.