Armenviertel

Umsiedlungspolitik: Sicher, aber nicht entwurzelt

Fachrichtung Zukunft: Nachwuchswissenschaft verbindet Forschung mit Nachhaltigkeit

Hannes Lauer am Institut für Raumordnung und Entwicklungsplanung der Universität Stuttgart untersucht am Beispiel der Philippinen, wie Umsiedlungspolitik zum Schutz vor dem Klimawandel in ein besseres Leben führt.

Theresa Peralta stammt aus einem Armutsviertel im Zentrum der philippinischen Hauptstadt Manila, direkt an der Küste der Manila Bay. Wenn sich einer der zahlreichen Taifune über dem Inselarchipel im Pazifik zusammenbraute, betete sie voll Angst mit ihren Nachbarn und schichtete Sandsäcke. Doch immer wieder ließ der Starkregen ihre Behausung in reißenden Fluten untergehen.

Theresa Peralta heißt in Wirklichkeit nicht so, doch sie steht für viele. Geschätzte drei Millionen Menschen in der Metropolregion Manila leben unter prekären Bedingungen in informellen, oft slumähnlichen Siedlungen. Oft liegen diese in Gefahrenzonen, die im Sinne der Risikovermeidung eigentlich gar nicht bebaut werden sollten. Kommt der jährliche Monsun mit seinem peitschenden Dauerregen oder trifft gar einer der jährlich rund 20 Taifune die Region, sind die Menschen den Wassermassen praktisch schutzlos ausgeliefert. Schon heute stellen Bewohnerinnen und Bewohner aus informellen Siedlungen bei Naturkatastrophen der Großteil der Todesopfer und der Obdachlosen. Wenn durch den Klimawandel der Meeresspiegel ansteigt, der Monsunregen heftiger wird und die Taifune sich häufen, sind diese Menschen noch stärker bedroht.

500.000 Menschen sollen umgesiedelt werden

Um diesen Gefahren zu begegnen, gibt es prinzipiell zwei Ansätze: die Aufwertung der informellen Siedlungen oder die Umsiedlung der gefährdeten Bewohner beziehungsweise ganzer Siedlungen. Letzteres hat eine lange Tradition auf den Philippinen. Stand jedoch bisher das so genannte post desaster-resettlement, also die Umsiedlung nach einer Katastrophe, im Mittelpunkt der politischen Aktivitäten, so plant die Regierung in Manila mit Blick auf den Klimawandel, 100.000 Familien präventiv einen neuen Wohnort in sicheren Gebieten zuzuweisen. Betroffen sind davon rund 500.000 Personen – auch Theresa Peralta ist eine davon. Sie lebt inzwischen in einem neu entstandenen Quartier, ein Vorzeigeprojekt. Die Filipina ist zufrieden mit ihrer kleinen, einfachen Wohnung, weiß den Komfort von Strom und fließend Wasser zu schätzen und freut sich, dass ihre Ängste verschwunden sind. Doch nicht immer geht es den Menschen nach einer Umsiedlung besser.

Hannes Lauer

Für die Menschen jedoch bedeutet der Umzug an einen sicheren Ort auch die Vertreibung aus ihren Behausungen, aus ihrem bisherigen Lebensumfeld und letztlich aus ihrem Zuhause.

Hannes Lauer, Doktorand am Institut für Raumordnung und Entwicklungsplanung (IREUS)

Erhebliche soziale und ökonomische Folgen

„Umsiedelungen sind zunächst einmal aus Behördensicht die beste Lösung. Für die Menschen jedoch bedeutet der Umzug an einen sicheren Ort auch die Vertreibung aus ihren Behausungen, aus ihrem bisherigen Lebensumfeld und letztlich aus ihrem Zuhause“, erklärt Hannes Lauer. „Das hat erhebliche und zum Teil auch sehr unterschiedliche soziale und sozioökonomische Folgen.“ Der Doktorand promoviert am Institut für Raumordnung und Entwicklungsplanung (IREUS) im Rahmen des Projekts LIRLAP (Linking Disaster Risk Gover­nance and Land-Use Planning), an dem neben der Universität Stuttgart auch die TU Dortmund, die LMU München, die University of the Philippines sowie Partner in Thailand und Vietnam beteiligt sind. Das IREUS erforscht die Nachhaltigkeit der Umsiedelungsstrategie und stellt insbesondere die Frage, ob die Menschen an den neuen Standorten tatsächlich weniger gefährdet sind und die Chance auf ein „besseres Leben“ haben.

Projektteam LIRLAP

Hierzu nehmen die Forschenden Umsiedelungstypen verschiedenster Bau- und Organisationsformen in Augenschein: Neubauquartiers am Stadtrand, innerörtliche Genossenschaften, Hoch- und Reihenhäuser und mehr. „Durch Haushaltsbefragungen, statistische Analysen und Interviews wollen wir herausfinden, welche Auswirkungen die verschiedenen Umsiedelungsformen haben und welche Ansätze zu mehr Resilienz führen“, beschreibt Lauer sein Forschungsvorhaben. „Gemeinsam mit den Partnern wollen wir dann in Gaming-Simulationen durchspielen, wie eine ideale Umsiedelung aussieht und daraus zwei idealtypische Siedlungen entwerfen.“ Eine davon soll innerstädtisch liegen und ideal mit den begrenzten hochverdichteten Flächen auskommen. Die andere soll eine sogenannte off-City Siedlung sein und aufzeigen, dass auch in peripheren Lagen eine neue Lebensperspektive möglich ist. Das Augenmerk bei beiden idealtypischen Siedlungen liegt zudem auf einer angemessenen Beteiligung der umzusiedelnden Personen.

Hoffnung auf Feldphase auf den Philippinen

Die Vision der Forschenden geht noch einen Schritt weiter. „Unser Fernziel ist es, eine auf Nachhaltigkeit und Resilienz ausgerichtete Umsiedelung als Pilotprojekt zu begleiten“, sagt Prof. Jörn Birkmann, der das Projekt von Seiten des IREUS leitet und Hannes Lauers Promotion betreut. Bis dahin ist es jedoch noch ein weiter Weg. Erste Eindrücke auf den Philippinen konnten Lauer und Birkmann bei einer Voruntersuchung im Jahr 2019 zwar bereits gewinnen. Doch die weiteren Forschungen hat die Corona-Pandemie wie so Vieles ins Digitale verbannt, darunter eine Workshop-Serie mit Partner*innen in Bangkok, Hanoi und Manila. Nun hoffen die Forschenden, im Oktober dieses Jahres mit Pretests in Manila die Feldphase starten und 2022 wie geplant die Haushaltsbefragungen durchführen zu können. Die Feldphasen des Projekts in Thailand und Vietnam finden dann 2023 statt.

Beim Kick-Off des Green Office am 24. Juni 2021 stellt Hannes Lauer seine Forschung in einem Impulsvortrag vor.

Hannes Lauer dürfte dann schon die Zeit nach Abschluss seiner Promotion im Auge haben. „Ich interessiere mich für die vielfältigen und sehr kontextspezifischen Auswirkungen des Klimawandels auf Ökosysteme und Gesellschaften. Wir alle werden mit klimatischen Veränderungen umgehen müssen, jedoch ist es am schwierigsten für Menschen, deren Leben schon jetzt prekär ist,“ sagt er. „Es ist genau diese Verbindung aus natürlichen Veränderungen und gesellschaftlichen Prozessen, die ich weiter erforschen will und an der ich – in der Wissenschaft oder der Praxis – weiterarbeiten möchte.“

Reihe „Fachrichtung Zukunft“

Die Reihe „Fachrichtung Zukunft“ präsentiert Nachwuchswissenschaft an der Universität Stuttgart zum Thema Nachhaltigkeit. Von bauphysikalischen Hausbaum-Analysen über Entwicklungsstudien auf den Philippinen bis zu Alternativen zu Lithium-basierten Batterien reicht die Forschung der Doktorand*innen und Wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen aus verschiedenen Instituten. Die Disziplinen übergreifend eint sie alle ein Ziel: Forschung für eine ökologisch bewusste Zukunft.

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