Campusführer Stuttgart-Mitte
Objekt D:
Hauptgebäude – Zentrale Verwaltung (früher Rektoramt)
Das Gebäude Keplerstraße 7 steht abseits von der Straße, beinahe vollständig hinter hohen Bäumen versteckt. Ursprünglich war es der Westflügel eines großen Gebäudekomplexes, der durch die Schellingstraße im Süden, die Keplerstraße im Osten, die Alleenstraße im Norden und die Seestraße im Westen umschlossen wurde. Anstelle der Alleenstraße wurde der Max-Kade-Weg angelegt und die Seestraße ist heute an anderer Stelle. (6)
Der erste Teil des Gebäudes wurde bereits 1864 unter der Leitung des Hofbaumeisters Joseph von Egle fertiggestellt. Die Professoren Breymann, Leins und Baeumer, die 1859 mit der Planung beauftragt worden waren, hatten sich nicht mit der Stadtverwaltung über den Stand-punkt des Gebäudes einigen können und so ging die Leitung des Baus am 24. März 1860 an den ebenfalls an der polytechnischen Schule lehrenden Architekten Joseph von Egle. Bereits kurze Zeit später wurden wieder weitere Räume benötigt und so wurde 1879 zum 50-jährigen Jubiläum der polytechnischen Schule auch der von Alexander von Tritschler neu angebaute Westflügel eingeweiht.
Am 25. Juli 1944 wurde das Gebäude bei einem Bombenangriff getroffen und schwer beschädigt. An den 1946 begonnenen Aufräumarbeiten waren viele Studierende beteiligt und 1950 wurde schließlich unter der Leitung von Prof. Richard Döcker der Neubau von Tritschler ohne das oberste Stockwerk wieder hergestellt. (1,3)
Das ursprüngliche Gebäude von Joseph von Egle hatte einen rechteckigen Grundriß mit einer Größe von 87 auf 20 Meter. Wobei jedoch der Mitteltrakt und die beiden Seitenflügel etwa 8 Meter nach vorne ragten, so dass die Fassade klar gegliedert wurde. Durch Sandsteine in verschiedenen Farben setzten sich die Obergeschosse vom Erdgeschoss ab. Auf dem Dach des Mittelbaus befand sich eine Kuppel für astronomische Betrachtungen. Ursprünglich war für die Fassade ein eher sparsamer Schmuck, der hauptsächlich aus Inschriften bestand, vorgesehen. Die spätere Ausführung von Karl Kopp (1825–1897), der Bildhauer am Polytechnikum war, bestand jedoch aus einigen Figuren und großen Reliefs. Bei der Einweihung wurde der plastische Schmuck folgendermaßen beschrieben: „Das Gebälk des Hauptportals wird von zwei weiblichen Figuren gestützt, welche durch die ihnen gegebenen Attribute charakterisiert sind: die eine als technische Wissenschaft, die andere als gewerbliche Kunst. Rechts und links von diesem Portal sind die ganz erhabenen Bildnisköpfe zweier berühmter Württemberger, nämlich Jörg Syrlin’s, des Meister des Ulmer Chorgestühls und Matthäus Böblinger’s, des Baumeisters an der Frauenkirche in Esslingen und am Münster in Ulm. In den oberen Stockwerken sind Medaillonbildnisse von ausgezeichnete Gelehrten und Technikern angebracht und zwar im Mittelbau von deutschen – Carl Friedrich Gauß, Joseph Fraunhofer, Carl Friedrich Schinkel, Ferdinand Redtenbacher, – in den beiden Seitenflügeln von nicht deutschen, nämlich im unteren von Michel Angelo und Gaspard Monge, im oberen von Isaac Newton und George Stephenson. Das Giebelfeld, welches den Mittelbau krönt, stellt, in ganz erhabener Bildhauerarbeit, in der Mitte die Württembergica dar, welche vom Throne herab zu einer am Fusse desselben mit mathematischen und naturwissenschaftlichen, mechanischen, architektonischen und gewerblichen Studien beschäftigte Kruppe von Jünglingen schreitet und diesen als freudig begrüsstes Geschenk die Stiftungsurkunde der Polytechnischen Schule überbringt, die gleichsam in prophetischer Weise bereits die nachmalige Geschichte dieser Anstalt mit wenigen, aber bezeichnenden Worten enthält: 1832 Gewerbe-Schule, 1840 Polytechnische Schule, 1862 Technische Hochschule.“
Außerdem war geplant, in den vier Nischen an der westlichen Seite Standbilder aufzustellen. Eine davon sollte Johannes Kepler darstellen. Während die Hörsäle und übungsräume her schlicht gehalten waren, wurden das Treppenhaus und die Gänge dekorativ ausgeschmückt, teilweise mit Bildern von verstorbenen Schulleitern und Lehrern. Wilhelm Lübke äußerte sich 1884 lobend über das „palastähnliche Gebäude von würdigem Eindruck, der besonders durch die musterhaft sorgfältige Ausführung gehoben wird“; es zeige „eine edle italienische Renaissance“. (7)
Im Vorgarten wurde 1883 ein Denkmal für den Naturforscher, Arzt und Physiker Julius Robert Mayer aufgestellt und 1889 folgte ein Zweites für den Literaturhistoriker und Ästhetiker Friedrich Theodor Vischer. Die Büste von Vischer blieb der Universität Stuttgart erhalten, während die von Mayer leider verschollen ist. (1)
Mit Alexander von Tritschler wurde auch ein Lehrer des Polytechnikums mit dem Anbau beauftragt. Die architektonischen Vorgaben entstanden durch den bereits vorhandenen Bau: Gestaltung einer neuen Hauptfassade unter Anpassung an den Bau von Egle, Ausrichtung zum Stadtgarten und Wiederholung des nördlichen Flügels als südlicher Flügel. Baumaterial, Geschosshöhe, Gliederung und Fensterform ergaben sich ebenfalls aus dem alten Gebäude. Den Mittelbau hob Tritschler jedoch durch kannelierte korinthische Säulen hervor. Das neue Hauptportal wird in der Schwäbischen Kronik von 1879 als „Meisterwerk der Renaissance“ bezeichnet. Links und rechts davon stehen Statuen von Johannes Kepler (heute in Weil der Stadt) und Albrecht Dürer (heute im städtische Lapidarium). Das oberste Stockwerk wird links und rechts jeweils durch ein großes Relief von Theobald Bächler abgeschlossen. Die Entwürfe für das Relief des Genius der Künste und das Relief des Genius der Naturwissenschaft und Technik stammen von Karl August Heinrich Kurtz, der Professor für Freihandzeichnen an der Hochschule war. Auch die 10 Allegorien zwischen den beiden Reliefs wurden von ihm entworfen. Hergestellt wurden sie in Darmstadt von Prof. Kopp, Bildhauer Paul Müller, Scheck, Bach und Prof. König. Dargestellt waren alle Fächer, die an der Hochschule gelehrt werden: Bildhauerei, Chemie, Geognosie, Ingenieurkunst, Astronomie, Malerei, Botanik, Physik, Maschinenbau und Architektur. Drei davon blieben bis heute erhalten und stehen im nahegelegenen Stadtgarten. über dem Bogen des Hauptportals befanden sich zwei Putten von Scheerer, die heute ebenfalls im städtischen Lapidarium aufbewahrt werden. Einer von ihnen hält ein Buch mit einer Parabelgleichung und der andere ein Reißbrett, auf dem ein korinthisches Kapitell zu sehen ist. In der Eingangshalle waren acht lebensgroße Büsten von ehemaligen Lehrern aufgestellt und die Bilder an den Wänden stellten die sechs Fachschulen vor. Die Decke des Sitzungssaals war mit den Wappen der neun größten technischen Lehranstalten verziert. Im herausragenden obersten Stockwerk befand sich die Bibliothek.
Die Kosten für den Neubau und die Verlegung des chemischen Laboratoriums beliefen sich auf 1.180.000,- Mark und wurden zum Teil mit den französischen Kriegskostenentschädigungen bezahlt. (1)
Das Hauptgebäude wurde am 25. Juli 1944 bei einem alliierten Fliegerangriff zu 80-90% zerstört. Mit der Beseitigung der Trümmer wurde im Oktober 1946 begonnen und bereits 1947 konnte der Wiederaufbau nach den Plänen der Bauleitung der Technischen Hochschule angefangen werden. Der Mangel an Arbeitskräften wurde von 1946 bis 1948 durch den Einsatz des studentischen Arbeitsdienstes ausgeglichen, aber durch die Verknappung der Baumittel musste der Bau im Herbst 1948 gestoppt werden; erst im Juni 1949 konnte er fortgesetzt werden.
Prof. Dr. Ing. Richard Döcker reichte im Frühjahr 1950 einige Planänderungsvorschläge ein und am 6.9.1950 schloss die Bauabteilung des Finanzministeriums einen Architektenvertrag mit ihm ab. In seiner Planung für den Westflügel war die Beseitigung der muffigen und dunklen Vorräume im Hauptflur, die Verbreiterung des Hauptflures auf 6,78 m, die Beseitigung der unbelichteten alten, völlig zerstörten Ecktreppen, die Schaffung neuer, äußerst bequemer und heller, einläufiger Treppen und das Abtragen des 3.OG.-Aufbaues vorgesehen. Allein die Kosten dafür beliefen sich auf insgesamt 2.958.000 DM.
1952 stellte Richard Döcker seinen Plan für den sogenannten Z-Bau vor. Er wollte, dass der Bau von Egle als Bibliothek wieder verwendet werden sollte und dass der Erweiterungsbau, der bereits 1951 ohne den ursprünglichen Schmuck und ohne das oberste Stockwerk wiederhergestellt worden war, miteinbezogen werden sollte. Seine Pläne wurden jedoch wegen des großen Platzbedarfs abgelehnt. Deshalb wurden 1955 neue Pläne für einen Neubau entwickelt und schon 1956 begann man mit dem Bau des Kollegiengebäudes I. Wann die äußerlich gut erhaltene Ruine des Egle-Baus dafür abgerissen wurde, ist heute nicht mehr feststellbar. Sicher ist nur, dass sie noch bis 1950 gestanden hatte. (1,2,5)
Quellen:
(1) Prof. Dr. Johannes Zahlten: 125 Jahre Institut für Kunstgeschichte Universität Stuttgart, Florenz am Neckarstrand? (=Reden und Aufsätze, Band 41), 1991.
(2) Archiv der Universität Stuttgart, Hochbauamt (Pfaffenwaldring 32), Bereich Keplerstraße 7, Ordner 1-7.
(3) Wikipedia Deutschland - Architekten (www.wikipedia.de, Zugriff Aug. 2007)
(4) Meyers Konversationslexikon, Leipzig & Wien: Verlag des Bibliographischen Instituts, 4. Auflage, 1885-1892, Band 15 (von Sodbrennen bis Uralit).
(5) Universität als Campus – Campus als Stadt, in: Stuttgarter unikurier, Nr.80 (November 1998).
(6) Timo John [Archiv der Stadt Stuttgart]: Der Stuttgarter Stadtgarten, Stuttgart &Leipzig: Hohenheim Verlag GmbH, 2002.
style='font-family:Arial'>(7) Wilhelm Lübke/Carl von Lützow: Denkmäler der Kunst. Zur übersicht ihres Entwicklungsganges von den ersten künstlerischen Versuchen bis zu den Standpunkten der Gegenwart, Textband, Stuttgart 1884. S.332.
Literatur:
Stuttgart. Führer durch Stadt und ihre Bauten. Festschrift zur 6. Generalversammlung des Verbandes deutscher Architekten und Ingenieur-Vereine, Stuttgart, 1886.
Stuttgart 1864 bis 1889 : Festgabe der Königlichen Haupt- und Residenzstadt zur Feier des 25jährigen Regierungs-Jubiläums Seiner Majestät des Königs Karl von Württemberg, 25. Juni 1889, Stuttgart : Greiner & Pfeiffer, 1889, S. 30-32 u. Bildtafel.
Sabine Marschall: Die deutschen Hochschul-Hauptgebäude im 19. Jahrhundert, Diss. Tübingen 1993.