Die Vorgeschichte
Die verantwortlichen Gremien haben beschlossen, daß die Auslastung der Lehrkapazität als
zentrales Kriterium in die Berechnung der Streichlast eingehen soll. Ursprünglich sollte
diese Auslastung in enger Anlehnung an die gesetzlichen Kapazitätsrechnungen ermittelt
werden. Diese sind jedoch in verschiedenen Punkten korrekturbedürftig. Bei einer Analyse
der vorgeschlagenen Verbesserungen stellte ich im Frühjahr 1997 fest, daß sich eine
Auslastung ergab, die proportional mit dem Quadrat der Studentenzahl wuchs, sich also bei
doppelter Studentenzahl vervierfachte. Dieser Vorschlag konnte nicht die Zustimmung der
Universität finden.
Es folgte eine Zeit intensiver Arbeit, die zu einer ersten Berechnung der Auslastung
führte. Auf der Basis dieser Berechnung, der im Sommer 1997 alle beteiligten Gremien
zustimmten, wurde die Streichlast für das erste Jahr berechnet. Eine Reihe
wünschenswerter Verbesserungen konnten damals in der Kürze der Zeit und aufgrund
fehlender Daten noch nicht berücksichtigt werden. Zur Zeit wird eine erweiterte Rechnung
vorbereitet.
Das Verfahren im Überblick
Im Zentrum aller Rechnungen steht die Kapazität". Sie wird in der Einheit
Semesterwochenstunden" (SWS) ausgedrückt: Ein Professor entspricht meist 8
SWS, ein Assistent 4 SWS, und so weiter. Das Verfahren ist dreistufig:
1. Bestimmung des Anteils KIst": Hier wird gefragt, wieviel Kapazität in
einer Fakultät ausschließlich der Lehre zur Verfügung steht: Von der insgesamt
vorhandenen Kapazität werden Beiträge für Forschung (gegenwärtig berechnet aus den
eingeworbenen Drittmitteln) und andere Leistungen (gegenwärtig Funktionsstellen)
abgezogen.
2. Kapazitätsrechnung: In diesem Schritt wird die Größe KSoll" berechnet.
Sie gibt an, wieviel Kapazität einer Fakultät für die ihr zugewiesenen Lehraufgaben und
unter Berücksichtigung der Zahl der vorhandenen Studierenden eigentlich zustünde. Den
Quotienten KSoll/KIst wird man sinnvollerweise als Auslastung" (der
Lehrkapazität) bezeichnen.
3. Kürzungsrechnung: Aus KIst und KSoll wird für jede Fakultät die Streichlast
berechnet. Die Kürzungen sollen so durchgeführt werden, daß die Fakultäten
anschließend gleichmäßiger ausgelastet sind.
Die folgenden Ausführungen sollen die Grundidee der Kapazitätsrechnungen
verdeutlichen.
Der Curricularwert
Der Gesetzgeber führte in die Kapazitätsrechnung den Begriff des Curricularwertes (CW)
ein. Er gibt an, wieviele Semesterwochenstunden Lehrkapazität ein Student oder eine
Studentin rechtfertigt. Der Curricularwert hat also die Einheit SWS pro Student.
Die Größen Kapazität, Curricularwert und Studentenzahl sind verbunden durch die
Grundformel:
Kapazität = CW x Studentenzahl.
Betrachten wir zum Beispiel einen Studiengang von neun Semestern mit einem
Curricularwert von 4,3. Werden alle Lehrleistungen für diesen Studiengang von einer
Fakultät erbracht, so kann diese Fakultät hierfür die Lehrkapazität: KSoll= 4,3 x
(Studentenzahl)/9 für sich beanspruchen. Der Faktor 1/9 berücksichtigt, daß in einem
Semester durchschnittlich nur 1/9 der gesamten Ausbildung stattfindet.
Zur Kapazitätsrechnung
Einige Probleme fallen sofort ins Auge: Wie setzt man den CW eines Studienganges fest? Wie
werden Export und Import von Lehrleistungen zwischen den Fakultäten berücksichtigt? Aber
auch: Wie berücksichtigt man Schwund durch Studienabbrecher? Über wieviele Jahre sollen
Studierendenzahlen gemittelt werden, um kurzfristige Schwankungen zu glätten?
Einiges läßt sich in proportionalen Rechnungen gar nicht erfassen: Zum Beispiel
müssen wichtige Vorlesungen auch für wenige Studierende gehalten werden; geringe
Auslastung bedeutet also nicht unbedingt geringe Belastung. In der gebotenen Kürze werden
hier beispielhaft einige Ansätze skizziert.
Die Rechnung kann flexibler gestaltet werden, wenn jede Lehrveranstaltung getrennt
bewertet wird. Jede vorgeschriebene Veranstaltung erhält einen partiellen
Curricularwert" (pCW). Handelt es sich um eine Vorlesung oder ein Seminar, so legt
eine Gruppengröße" fest, bei welcher Teilnehmerzahl die Veranstaltung als
ausgelastet gilt. Daraus errechnet sich der partielle Curricularwert zu pCW = Zahl der
SWS/Gruppengröße. Nehmen an einer Vorlesung alle Studierenden eines Jahrganges teil, so
könnte man die Gruppengröße auf 100 festsetzen. Wählen die Studierenden aus einem
vorgeschriebenen Angebot von sechs Vorlesungen drei aus, so ergäbe sich für eine solche
Vorlesung eine Gruppengröße von 50. Erfordert ein Praktikum für je zehn Teilnehmer
(Gruppengröße) die ständige Anwesenheit einer festangestellten Lehrperson für drei
Stunden pro Woche, so ergibt sich der pCW entsprechend. Diese Rechnungen werden weiter
verfeinert; zum Beispiel geht der Aufwand für die Vorbereitung ein.
Aus den partiellen Curricularwerten errechnen sich partielle Soll-Kapazitäten für die
Veranstaltungen. Die gerechtfertigte Lehrkapazität KSoll einer Fakultät ist die Summe
ihrer partiellen Soll-Kapazitäten. An dieser Stelle kann man den Import-Export
berücksichtigen und dafür Sorge tragen, daß für einen Studiengang unabhängig von der
Studentenzahl auf jeden Fall die minimal notwendige Lehrkapazität zur Verfügung steht.
Der zulässige Ausbau von Wahlfächern richtet sich jedoch nach der Auslastung durch
Studierende.
Zur Kürzungsrechnung
Sind für jede Fakultät die Größen KIst und Ksoll - und damit ihre Auslastung -
bekannt, muß schließlich ermittelt werden, welche Kürzungen auf die einzelnen
Fakultäten zukommen. Aufgrund von Senatsbeschlüssen soll dies so geschehen, daß
insgesamt 14 Prozent der Personalstellen eingespart werden. Je nach Auslastung sollen die
Fakultäten zwischen 7 und 21 Prozent streichen. Die Details dieser Rechnung sind in
meinem Beitrag zu Berechnung und Reduktion von Kapazitäten an einer
Universität" beschrieben.
Wie geht es weiter?
Die Entwicklung und Anpassung an die Realität eines so umfangreichen Modells ist nur in
einem dynamischen Prozeß möglich. Zur Zeit wird eine Reihe von Verbesserungen
angestrebt, etwa die Sicherung von Minimalkapazitäten, die Berücksichtigung von
Prüfungsleistungen, die Einbeziehung von Rechnungen auf Instituts- statt nur auf
Fakultätsebene oder die Verwaltung der zugrunde liegenden Daten in einem adäquaten
Datenbanksystem. Auch die Vergleichbarkeit der Angaben der verschiedenen Fakultäten kann
noch verbessert werden.
Alle Entwicklungen orientieren sich an einem leitenden Prinzip: Die Rechnungen sollen
durchsichtig und für jeden Interessierten nachvollziehbar sein und ausschließlich auf
allgemein zugänglichen, dokumentierten Daten beruhen. Nur so lassen sich die
schmerzlichen Kürzungen in allgemeinem Konsens durchführen.
Burkhard Kümmerer
*) Siehe dazu auch den Beitrag Abstrakt - und darum
anwendbar" in der Rubrik Wissenschaft & Praxis".
KONTAKT
Prof. Dr. Burkard Kümmerer, Arbeitsgruppe Operatorenalgebren und Quantenstochastik am
Mathematischen Institut A, Pfaffenwaldring 57, 70569 Stuttgart, Tel. 0711/685-5364, Fax
0711/685-5375
e-mail: kuem@mathematik.uni-stuttgart.de