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Hans Ulrich Seebers Emeritierung nach über zwanzig Jahren als Lehrstuhlinhaber für Neuere Englische Literatur fällt in eine Zeit, in der die Philosophisch-Historische Fakultät vielfachen Zwängen struktureller Veränderung ausgesetzt ist. Seinen akademischen Abschied hat dies 2005 durchaus beschwert, auch wenn die Situation nicht gänzlich neu war. Als Seeber 1984 den Ruf nach Stuttgart erhielt, war er anglistischer Lehrstuhlinhaber an der Ruhr-Universität Bochum und Mitglied der geradezu legendären interdisziplinären Forschungsgruppe zur „Funktionsgeschichte literarischer Utopien in der frühen Neuzeit” am Zentrum für interdisziplinäre Forschung (ZiF) der Universität Bielefeld. Bereits damals vermochte er abzuschätzen, wie viel schwerer sich die Selbstbehauptung des eigenen Faches und der geisteswissenschaftlichen Fakultät innerhalb der naturwissenschaftlich-technisch ausgerichteten Universität Stuttgart gestalten würde. Hans Ulrich Seeber hat diese Herausforderung angenommen und zum integralen Bestandteil seiner Lehre und Forschung gemacht. Vor diesem Hintergrund gelang ihm 1991 mit seiner „Englischen Literaturgeschichte“ im Metzler Verlag (mittlerweile in der vierten Auflage) jener große Wurf, von dem andere Literaturwissenschaftler nur träumen können. Er hat damit ein vorbildliches Standardwerk geschaffen, in dem die Geschichte der Literatur im Lichte des Modernisierungsprozesses gelesen wird. Die Aufgabe des Literaturwissenschaftlers versteht Seeber als kulturwissenschaftlich ausgerichtete Rekonstruktion kultureller und ästhetischer Formationen. Über viele Jahre gab er mit „Anglia“ die traditionsreichste anglistische Zeitschrift in Deutschland heraus und öffnete auch sie für interdisziplinäre kulturwissenschaftliche Fragestellungen. So war es alles andere als Zufall, dass Hans Ulrich Seeber 2000 in das Direktorium des Internationalen Zentrums für Kultur- und Technikforschung gewählt wurde. Zwei internationale Tagungen des IZKT flankierten Hans Ulrich Seebers akademische Abschiedsvorlesung anlässlich seiner Emeritierung. Die thematische Spannweite der beiden Symposien über das Thema Magic, Science, Technology and Literature1) und zum Krimkrieg als erstem europäischen Medienkrieg2) reflektiert die Vielfältigkeit und fachliche Breite des unvermindert von theoretischer Neugierde beseelten Emeritus. Eine Monographie zu Formen der Mobilität im viktorianischen Zeitalter befindet sich im Druck, eine Studie zum Begriff der Faszination wird Hans Ulrich Seeber 2006 abschließen. Da dies Themen von öffentlichem Interesse sind, ist er ein gefragter Redner auch außerhalb der Universität: So berichtete er am 25. März 2006 im Kontext des großen Stuttgarter Faust-Projekts am Staatstheater/Schauspiel zu „Magie, Technik und Literatur“ und repräsentierte einmal mehr die wichtige Brückenfunktion des IZKT zwischen Wissenschaft und Stadtkultur.
Martin Windisch
1) Siehe unikurier
Nr. 95, 1/2005, S. 79
2) Siehe unikurier
Nr. 96, 2/2006, S. 78
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